Ernährungsdocs: Kein Gluten bei Hashimoto?

Aktualisierter Artikel zum Thema: Gluten-, Weizen- oder ATI-Sensitivität?

Bei den Ernährungsdocs im NDR war letztes Jahr die Ernährung bei Hashimoto-Thyreoiditis ein Thema. Die in der Sendung auftretende Patientin hat Hashimoto, sie möchte abnehmen und sich wieder fitter fühlen. Die Empfehlungen der Ernährungsdocs: Intervallfasten (Link zu Kapitel 8.2. des Online-Ratgebers), Vitamin D, mehr Bewegung – und glutenfreie Ernährung.

Ein Versuch mit glutenfreier Ernährung ist aufwändig, aber er schadet nicht. In Minute 7:30 fällt allerdings die gewagte Aussage, dass in Amerika jeder Zweite der Hashimoto-Betroffenen eine Glutenunverträglichkeit hat. Das suggeriert, dass man bei Hashimoto am Besten generell auf Gluten verzichtet. Da ich das anders einschätze, habe ich beim NDR nachgefragt, welche Fakten hinter dieser Aussage der Ernährungsdocs tatsächlich stecken.

Im Widerspruch zu diesen Behauptungen der Ernährungsdocs stehen nämlich Aussagen von NDR Visite: Hier spricht man nicht von Glutensensitivität, sondern von einer Weizensensitivität.

Glutenfrei bei Hashimoto – woher kommt dieser Modetrend?

Warum ist es wichtig, das zu klären? Autoren aus den USA suggerierten vor Jahren fälschlicherweise, dass Gluten ein möglicher Auslöser von Hashimoto ist und die Krankheit womöglich durch glutenfreie Diät geheilt werden könnte. Es gibt mittlerweile etliche Youtube-Videos (darunter eines, das für sich allein fast 30.000 Aufrufe hat), die von Gluten bei Hashimoto pauschal abraten.

Auch wenn heute nicht mehr unbedingt eine Heilung versprochen wird, eine glutenfreie Ernährung zählt für viele Betroffene, Ernährungscoachs und Heilpraktiker zum Pflichtprogramm bei Hashimoto. Eine Begründung braucht es nicht mehr – was oft genug von verschiedenen Seiten wiederholt wird, gilt irgendwann als wahr. Das setzt andere (Autoren wie Behandler) unter Druck, ebenfalls etwas Vergleichbares bieten zu müssen. Also was steckt dahinter – wirklich Fakten oder eher der alternative Hoffnungsmarkt?

Glutenunverträglichkeit – was ist tatsächlich dran?

Die ausführliche Antwort der Redaktion (verantwortlich u.a. für NDR Visite und Ernährungsdocs) verweist darauf, dass die Glutensensitivität im Gegensatz zur Zöliakie wenig erforscht ist. Eine solche Unverträglichkeit von Gluten wird demnach bei rund 10 % der Deutschen vermutet, allerdings erscheint es der Redaktion beim heutigen Stand der Fachdiskussion wahrscheinlicher, dass es sich eher um eine Weizensensitiviät handelt.

Und sogar bei der Weizensensitivität könnte es beim heutigen Stand der Fachdiskussion sein, dass diverse Zusatzstoffe im Gebäck das eigentliche Problem sind – nicht der Weizen und das von Natur aus enthaltene Gliadin (das ist ein für den Weizen typisches Protein).

Was Hashimoto betrifft, verweist die Redaktion auf eine skandinavische Studie von 2012, in der ein Zusammenhang zwischen Hashimoto und Gluten nicht nachweisbar war. Das Fazit der NDR-Redaktion: Die beiden amerikanischen Autoren Chris Kresser (2010) und Datis Kharrazian (2014) sind mit ihren Behauptungen zum Gluten über das Ziel hinausgeschossen.

Was bleibt also vom Anti-Gluten-Hype bei Hashimoto?

Wenn jemand eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse hat, ist es sinnvoll, sich auf eine Zöliakie untersuchen zu lassen, weil beide Krankheiten statistisch gesehen gern zusammen auftreten. Das gilt besonders für Menschen mit unklaren Verdauungsbeschwerden. Einen Verdacht auf Zöliakie sollte man ggf. abklären, bevor man mit einer glutenfreien Diät beginnt, ansonsten sind die Untersuchungen nicht mehr zuverlässig.

Wer darüber hinaus vermutet, bestimmte Lebensmittel nicht zu vertragen, sollte es wenn möglich genauer abklären lassen und ansonsten selbst beobachten, wo es möglicherweise hakt – ohne sich dabei von vornherein darauf zu versteifen, dass Gluten der Übeltäter sein muss.

Und die Ernährungsdocs?

Am Ende geht die Mail der NDR-Redaktion noch kurz auf die besondere Sicht der Ernährungsdocs ein. Die glutenfreie Ernährung bei Hashimoto-Betroffenen ohne Zöliakie ist anti-entzündlich gemeint. Außerdem: „Weizen sollten die Menschen mit einer Hashimoto auf jeden Fall weglassen – Ausnahme ist der Demeter-Vollkornweizen -, wegen der Zusatzstoffe und des Gliadins.“ Nun, Gliadin ist auch im Weizen der alternativsten Bio-Landwirte enthalten.

Ich interpretiere es so, dass sich die Ernährungsdocs auch nicht sicher sind, ob es bei einer diffusen Unverträglichkeit von Getreide nun am Gluten liegt oder am Weizen oder doch den Zusatzstoffen. Wer sich glutenfrei ernährt, verzichtet automatisch auf Weizen. Aber diverse Backhilfsmittel und Zusatzstoffe können auch in fertigen glutenfreien Backwaren enthalten sein – und nicht alle Zusätze sind deklarationspflichtig.

Update 2018: ATI-Sensitivität – ist der Weizen der Übeltäter?

Mittlerweile wurden mehrere Artikel veröffentlicht, die klar stellen, was hinter der Weizensensitivität (oder genauer gesagt „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“) steckt: Bei den Betroffenen verursachen Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) einer leichte Entzündung des Darms.

An diesem Thema forscht der Mainzer Gastroenterologe Prof. Detlef Schuppan. Seine Erkenntnisse zur ATI-Sensitivität wurden in einem Artikel einer Mainzer Tageszeitung näher vorgestellt. Das Problem der ATI-Sensitivität kommt bei Menschen mit Autoimmunerkrankungen gehäuft vor. Ein allgemeines Weizenverbot für Menschen mit Hashimoto lässt sich auch aus diesen neueren Erkenntnissen nicht ableiten.

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Zum Weiterlesen über Weizen, Gluten und ATI-Sensitivität

Amylase-Trypsin-Inhibitoren: Wo sind sie drin? Blogartikel von Martin Smollich, Professor für Klinische Pharmakologie.

Tägliches Brot: Krank durch Weizen, Gluten und ATI. Buch von Detlef Schuppan und Kristin Gisbert-Schuppan. (Amazon-Werbelink)

Zum Thema Gluten-Irrtum: Das „Zentrum der Gesundheit“ lügt uns an

Allgemein zu Hashimoto und Ernährung: Vorsicht, die Pseudo-Bücher kommen!

Stand: 15. Juni 2023

Irene

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  • Ja, ich fürchte, es wird insgesamt sehr viel Unausgegorenes, Halbwahres bzw. nicht endgültig Erforschtes verbreitet und von verschiedenen Seiten wiederholt, bis es als wahr gilt.

    Meine persönliche Erfahrung: Bei mir wurde vor 24 Jahren Schilddrüsenunterfunktion, ein paar Jahre später Hashimoto festgestellt. Ich nahm meine Tabletten und glaubte, keine weiteren Symptome zu haben. Erst jetzt ist mir klar geworden, dass meine Darmprobleme vielleicht damit zusammenhängen. Jedenfalls habe ich offenbar ein MACS-Problem (Mastzellaktivierungssyndrom) und eine entsprechende Diät befreit mich VÖLLIG von meinem Darmproblem. Wer weiß, wie viele Hashimoto-Leute auch ein MACS-Problem haben? Das wäre dann ein GANZ anderer Ansatz.

    (Allerdings lasse ich aus Verzweiflung jetzt auch den Weizen weg, obwohl der mir keine direkt spürbaren Symptome verursacht. Ich habe nämlich auch ein Muskel-Sehnen-Problem (typisch für Hashimoto), das immer schlimmer wird und es heißt, Weizen würde Auto-Immunkrankheiten verschlimmern. Aber da ist ja noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Bin immer dankbar für neue Infos.)

    Jedenfalls denke ich, dass es sich für jeden, der bei Verdauungsproblemen nicht weiterkommt, lohnt, einmal über MACS nachzudenken, eines der Symptome sind Darmprobleme und kaum jemand hat sämtliche dort aufgezählten Symptome.

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