Viele Menschen haben während einer länger andauernden Unterfunktion deutlich an Gewicht zugenommen. Die meisten von ihnen möchten nach der Diagnose diese krankheitsbedingten Extra-Kilos wieder loswerden. Wenn es sich dabei vor allem um Wasser-Einlagerungen handelt, geht das sehr schnell und fast von selbst, sobald eine passende Dosis L-Thyroxin gefunden ist.
Deutlich mehr Geduld und Ausdauer braucht es, wenn das Übergewicht vor allem aus Fett besteht und dieses abgebaut werden soll: denn dafür ist über längere Zeit ein Kaloriendefizit notwendig. Das gilt natürlich genauso, wenn kein Schilddrüsenproblem vorhanden ist oder die Schilddrüse optimal eingestellt ist. (Siehe auch Kapitel 8.1.: Vorsicht, Crash-Diäten und Abnehm-Irrtümer!)
Inhalte dieses Kapitels
Übergewicht und Medikamente
Abzunehmen oder das Gewicht zu halten wird besonders mühsam, falls die Schilddrüsenhormone noch zu niedrig dosiert sind. Dann helfen Teil 3 (Behandlung mit L-Thyroxin) und Teil 4 (T3-Einnahme und mehr) dieses Ratgebers weiter. Aber Vorsicht, eine Überdosierung würde nicht unbedingt beim Abnehmen helfen: Zuviel L-Thyroxin kann zwar den Stoffwechsel beschleunigen, aber auch den Appetit steigern und Wassereinlagerungen begünstigen.
Wer noch weitere Medikamente einnimmt, sollte auf der zugehörigen Packungsbeilage die Nebenwirkungen durchlesen. Falls eine Gewichtszunahme erwähnt ist, könnte man sich in der Apotheke beraten lassen und sich beim zuständigen Arzt erkundigen, ob andere Wirkstoffe in Frage kommen.
Wie auch immer Ihre Situation ist: Lassen Sie sich nicht von gesünderen Menschen unter Druck setzen, die Ihre Situation gar nicht beurteilen können. Oft hilft es, sich im Internet oder einer Selbsthilfegruppe mit anderen Menschen auszutauschen, die in einer vergleichbaren Lage sind, oder sich an realistischen Vorbildern zu orientieren.
Sportliches Training wirkt sich zwar nicht immer direkt auf das Gewicht aus, weil es auch den Appetit steigern kann. Es hilft aber vielen Menschen, sich wieder fitter und beweglicher zu fühlen und dann auch mehr Freude an der Bewegung zu haben. Auch Muskelaufbau ist sinnvoll, denn mit einer guten Muskulatur werden Sie mehr Spaß an körperlichen Anstrengungen haben. Hinzu kommt, dass Muskeln im Ruhezustand ein wenig mehr Energie verbrennen als Fettgewebe. Das hilft auch, um das Gewicht zu halten oder abzunehmen, auch wenn Muskeln etwas schwerer sind als Fett. Wenn Sie sich ein Sportprogramm vornehmen und untrainiert sind, sollten Sie sich davor sportmedizinisch untersuchen lassen.
Insulinresistenz und Diabetes Typ 2
Komplizierter kann es werden, wenn eine Insulinresistenz im Spiel ist. Insulin ist ein Hormon der Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Es sorgt dafür, dass Zucker (Glukose) in den Zellen ankommt und so den Blutzuckerspiegel senkt. Glukose wird vor allem von der Muskulatur benötigt, aber auch vom Gehirn und anderen Organen. Bei einer Insulinresistenz kann die Bauchspeicheldrüse zwar noch genug Insulin produzieren, aber die Zellen reagieren nicht mehr ausreichend darauf.Die Folge: Die Bauchspeicheldrüse schüttet noch mehr Insulin aus, sodass der Blutzucker doch noch in die Zellen gelangen kann. Das kann zu Blutzuckerschwankungen und Heißhunger führen. Außerdem erschwert die Insulinresistenz den Abbau des Körperfetts und lässt das Gewicht noch weiter ansteigen. Aber auch bei schlanken Menschen kommt ab und zu eine Insulinresistenz vor, weil die erbliche Veranlagung eine Rolle spielt. Auch eine Überfunktion der Schilddrüse oder eine Tendenz zur Unterfunktion kann einen ungünstigen Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel haben.
Eine Insulinresistenz kann nach Jahren in Diabetes 2 übergehen (früher oft Altersdiabetes oder Alterszucker genannt), sie kann sich aber auch wieder zurückbilden. Um diesem Ziel näher zu kommen, empfehlen Ärzte, sich viel zu bewegen und die Kalorienaufnahme zu reduzieren. Ausreichend Schlaf spielt ebenfalls eine Rolle, denn Schlafmangel kann den Hormonhaushalt durcheinander bringen: Das Appetit fördernde Hormon Ghrelin steigt an, das Appetit senkende Hormon Leptin (auch Sättigungshormon) sinkt. Das kann eine Insulinresistenz zumindest begünstigen. Rauchen und Alkohol sind ebenfalls nachteilig für den Zuckerstoffwechsel, ebenso ein Vitamin-D-Mangel (Kapitel 11.4.), weil er die Insulinausschüttung hemmen kann (Quelle).
Diagnose der Insulinresistenz
Für die Diagnose und Behandlung ist die Diabetologie zuständig: Dort kann bei Verdacht auf eine Insulinresistenz ein Zucker-Belastungstest (auch oraler Glucose-Toleranztest genannt und oft OGTT abgekürzt) gemacht werden, und zwar auch dann, wenn der Nüchtern-Blutzucker noch im Normalbereich liegt. Das Problem kann so in manchen Fällen früher festgestellt werden als allein durch den Nüchtern-Blutzucker vom Hausarzt.
Beim Zucker-Belastungstest trinkt die Testperson eine Zuckerlösung. Anschließend wird im Blut gemessen, wie der Blutzucker darauf reagiert, das heißt, wie stark und wie lange er ansteigt. Ein Anlass für einen Zucker-Belastungstest könnte auch sein, wenn jemand Heißhunger-Attacken hat oder den Eindruck bekommt, zuckersüchtig zu sein. Denn eine Zuckersucht gibt es medizinisch gesehen nach aktuellem Stand nicht, wohl aber eine Insulinresistenz und Schwankungen des Blutzuckers.
Wenn mit dem Blutzucker alles in Ordnung ist, sind die Süßigkeiten vor allem eine Frage der Gewohnheit, die sich verändern lässt, wenn jemand ernsthaft dazu entschlossen ist. Manchen Menschen fällt es leichter, Süßes gar nicht mehr zu kaufen, als sich von einer Tafel Schokolade nur einen Teil zu nehmen und den Rest wegzuräumen.
Behandlung der Insulinresistenz
Wenn tatsächlich eine Insulinresistenz festgestellt wird, empfehlen Ärzte meist eine Ernährungsumstellung mit reduzierter Kalorienaufnahme sowie mehr körperliche Bewegung: Der Verdauungsspaziergang ist mehr als eine Redensart, denn Bewegung senkt tatsächlich den Blutzucker. Ein intensiveres Sportprogramm unterstützt dabei, das Gewicht zu halten oder zu reduzieren.
Siehe auch Teil 8 dieses Ratgebers: Hashimoto und Ernährung
Eine Gewichtsabnahme verbessert wiederum die Insulin-Empfindlichkeit der Zellen. Falls das nicht ausreichen sollte, gibt es Blutzucker senkende Medikamente, die Ärzte verschreiben können. Bei Diabetes 2 wird oft das Medikament Metformin eingesetzt: Es hemmt die Glucose-Produktion der Leber, zusätzlich verzögert es die Aufnahme der Glucose aus dem Darm. Die Folge ist, dass der Blutzuckerspiegel niedriger ist als ohne das Medikament. Es wird auch beim PCO-Syndrom und bei Schwangerschafts-Diabetes eingesetzt.
Manchmal wird es schließlich notwendig, das Hormon Insulin zu spritzen – dann wird der Blutzucker besser von den Zellen aufgenommen als vorher. Das kann allerdings den Nebeneffekt haben, dass das Gewicht leichter ansteigt. Wer sich daran stört, sollte keinesfalls das Insulin zu niedrig dosieren, weil dann der Blutzucker zu hoch bleibt. Besser wäre es, die Ernährung so ändern, dass tatsächlich weniger Insulin gebraucht würde, oder das Sportpensum zu erhöhen.
Diabetes 2 macht heute über 90 % der Diabetes-Fälle aus. Wer Diabetes hat, sollte sich außerdem augenärztlich untersuchen lassen, da Begleiterkrankungen am Auge nicht selten sind. Auch der Blutdruck sollte beobachtet werden. Wer einen erhöhten Blutzucker zu lange ignoriert, riskiert außerdem Nierenschäden.
Das metabolische Syndrom
Vom metabolischen Syndrom spricht man, wenn bestimmte Symptome gemeinsam auftreten:
- starkes Übergewicht / großer Bauchumfang
- gestörter Zuckerstoffwechsel / Insulinresistenz
- erhöhte Blutfettwerte / vermindertes HDL-Cholesterin
- Bluthochdruck
Diese Punkte erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an einem Typ-2-Diabetes sowie an einer Arteriosklerose zu erkranken, die umgangssprachlich Arterienverkalkung genannt wird. Diese könnte wiederum einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt nach sich ziehen. Wer vom metabolischen Syndrom betroffen ist oder zumindest einen Teil der typischen Symptome hat, sollte die Sache also ernst nehmen.
Bei den Problemen des metabolischen Syndroms spielt das innere Bauchfett (viszerales Fett) eine wichtige Rolle, weil es diverse Hormone ausschüttet. Diese beeinflussen wiederum den Zucker- und Fettstoffwechsel. Deshalb gilt heutzutage ein hoher Bauchumfang als problematischer als der Speck auf den Hüften oder dicke Oberschenkel. Oder einfacher gesagt: Die Apfelfigur ist gesundheitlich ungünstiger als die Birnenfigur. Deshalb geben manche Fachleute heute mehr auf den Bauchumfang als auf den bekannten Body Mass Index (BMI). Am besten ist es, wenn der Bauchumfang von Frauen nicht mehr als 80 Zentimeter beträgt, bei Männern nicht mehr als 94.
Begleiter des metabolischen Syndroms
Bei einem Teil der Betroffenen mit metabolischem Syndrom kommt noch ein erhöhter Harnsäurewert hinzu, der je nach Ernährung, Alkoholkonsum und Lebensstil eine Gicht mit sich bringen kann. Die Gicht betrifft vor allem Männer sowie Frauen nach den Wechseljahren. Außerdem kann Übergewicht vor allem bei Frauen eine Östrogendominanz begünstigen. Mehr dazu in Kapitel 6.2. Von der Prämenopause zu den Wechseljahren.
Das metabolische Syndrom kann außerdem eine nicht-alkoholische Fettleber mit sich bringen: Eine gesunde Leber enthält etwa 5 Prozent Fett, eine Fettleber hat deutlich mehr eingelagert. Dadurch kann sie anschwellen und sich sogar entzünden, eine mögliche Spätfolge ist die Leberzirrhose – auch ohne Alkoholkonsum. Aber die Leber kann durch einen gesünderen Lebensstil auch wieder entfetten und sich regenerieren. (Was zusätzlich helfen kann und was nicht, lesen Sie in den Kapiteln 8.3. über Low-Carb-Diät und 9.3. über Entgiftung.)
Link: Nicht alkoholische Fettlebererkrankung: Erweiterter Fettleber-Index verbessert Vorhersagekraft (Ärzteblatt 2017)
www.aerzteblatt.de/archiv/186444/Nicht-alkoholische-Fettlebererkrankung-Erweiterter-Fettleber-Index-verbessert-Vorhersagekraft
Übergewicht und Bluthochdruck
Wer einen ständig erhöhten Blutdruck hat, sollte sich in jedem Fall darum kümmern, obwohl er praktisch keine Beschwerden verursacht: Langfristig kann er nämlich die Gefäße schädigen. Bluthochdruck ist kein typisches Symptom der Schilddrüsen-Unterfunktion, allerdings wird er durch Übergewicht begünstigt. Bei Frauen kommt hinzu, dass er nach den Wechseljahren häufiger auftritt, wenn keine Östrogene angewandt werden.
Hat sich der Bluthochdruck als Folge des Übergewichts entwickelt, ist das Problem oft umkehrbar und Abnehmen hilft tatsächlich etwas: Als Faustregel kann man damit rechnen, dass der Blutdruck pro abgebautem Kilogramm Gewicht um 1,5 mmHg sinkt – das ist eine ganze Menge (Quelle)! Wer regelmäßig Alkohol trinkt, sollte ihn reduzieren oder ganz weglassen. Mehr körperliche Bewegung und weniger Stress haben ebenfalls einen günstigen Effekt. Auch regelmäßiges Blutspenden kann ausprobiert werden, wenn jemand nicht wegen Hashimoto oder aus anderen Gründen davon ausgeschlossen ist. Eine gute Versorgung mit Folsäure und anderen B-Vitaminen ist ebenfalls sinnvoll (Kapitel 11.2.).
Ist der Bluthochdruck eine Frage der Veranlagung, lohnt es sich oft, den Salzkonsum zu reduzieren. Salzarm zu essen wird einfacher, wenn man beim Kochen mehr Kräuter, Gewürze und Knoblauch verwendet. Auf abgepackten Lebensmitteln muss der Salzgehalt seit einigen Jahren deklariert sein. Da ein Mangel an Magnesium (Kapitel 10.6.) den Bluthochdruck leicht erhöhen könnte, könnte die Einnahme von Magnesium ebenfalls ein wenig helfen. Süßigkeiten mit Lakritz sind dagegen ungünstig – nicht nur wegen des hohen Zuckergehalts, sondern auch, weil das enthaltene Süßholz den Blutdruck noch weiter erhöhen könnte.
Ab welchen Werten ein Bluthochdruck medikamentös behandelt werden sollte, hängt vor allem vom Alter und den Begleiterkrankungen ab: Bei Diabetes 2 sollte der Blutdruck möglichst unter 140/85 mmHg liegen. Welche Blutdruckwerte als normal gelten, lesen Sie im folgenden Kapitel über den niedrigen Blutdruck.
Voriges Kapitel: Verdauungsbeschwerden und Unverträglichkeiten
Nächstes Kapitel: Niedriger Blutdruck (Hypotonie)
Zum übernächsten Kapitel springen: Das Fibromyalgie-Syndrom