Da der TSH-Wert die hormonelle Lage nur indirekt abbildet, lohnt sich oft ein zusätzlicher Blick auf die tatsächlichen Schilddrüsenhormone: Das sind Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4). Die Moleküle enthalten jeweils drei beziehungsweise vier Atome Jod, daher die Namen.

Allerdings sind 99 Prozent der Schilddrüsenhormone an Proteine gebunden und darum nicht aktiv. Deshalb werden Gesamt-T3 und Gesamt-T4 heutzutage kaum noch untersucht. Größere Aussagekraft haben das freie Trijodthyronin (freies T3 = fT3) und das freie Thyroxin (freies T4 = fT4). Diese nennt man „freie Hormone“ oder „freie Werte“.

Freie Hormone / freie Werte messen

Vor allem Endokrinologen untersuchen die freien Werte, also fT3 und fT4, aber auch die ein oder andere Hausarztpraxis ist dazu bereit. Auch bei fT3 und fT4 gibt es von Labor zu Labor unterschiedliche Referenzbereiche und sogar verschiedene Einheiten.

Sobald Sie das Labor wechseln, können Sie die freien Werte nur noch eingeschränkt mit früheren Werten vergleichen. Eine Umrechnung ist zwar mathematisch möglich, bringt aber praktisch nicht immer etwas, da die Bedingungen in den Labors verschieden und die Messungen der Hormone sehr sensibel sind: Es geht hier um winzige Mengen in den Einheiten Mikro- und Nanogramm.

Im Praxisalltag gilt: Wenn TSH und freie Hormone (also fT3 und fT4) im Referenzbereich des jeweiligen Labors liegen, sprechen Ärzte von einer „Euthyreose“ oder euthyreoten Werten, die Schilddrüsenfunktion wird als normal beurteilt.

In diesem Kapitel geht es um freie Werte allgemein und speziell bei der Schilddrüsen-Diagnostik. Um die freien Werte im Lauf der Behandlung der Unterfunktion geht es weiter hinten in Teil 3 – Die Behandlung mit L-Thyroxin.

Latente Unterfunktion (latente Hypothyreose)

Wenn das TSH erhöht ist, aber die freien Werte noch im Referenzbereich liegen, heißt das in der Fachsprache subklinische oder latente Unterfunktion. Wörtlich bedeutet das, dass die Unterfunktion noch nicht offensichtlich geworden ist. Beschwerden sind aber trotzdem möglich, wenn die freien Werte unter dem persönlichen Optimalbereich liegen, oder die Schilddrüse entzündet oder vergrößert ist.

Die Annahme, dass mit freien Hormonwerten innerhalb der Referenzbereiche generell keine oder zumindest keine starken Beschwerden auftreten können, ist mittlerweile durch gegenteilige Erfahrungen und Studien entkräftet. Auch ein niedrig-normaler fT4-Wert kann in manchen Fällen eine nicht mehr optimale Hormonlage anzeigen und einige Symptome der Unterfunktion mit sich bringen (Link zu Kapitel 1.1). Das ist auch in Verbindung mit einem normalen TSH-Wert nicht ganz ausgeschlossen (Link zum vorigen Kapitel).

Manifeste Unterfunktion (manifeste Hypothyreose)

Wenn eine latente Unterfunktion nicht behandelt wird und die Hormonproduktion der Schilddrüse weiter abnimmt, können die freien Hormone im Lauf der Zeit unter den Referenzbereich absinken, während der TSH-Wert immer weiter ansteigt. Dann spricht man von einer manifesten Unterfunktion. In seltenen Fällen ist fT4 schon erniedrigt, obwohl der TSH-Wert noch im Referenzbereich liegt – das gilt besonders für weit gefasste TSH-Referenzbereiche mit eher hoher Obergrenze.

Von einer manifesten Hypothyreose kann man auch dann sprechen, wenn der TSH-Wert über 10 mU/l liegt, unabhängig davon, ob die freien Werte tatsächlich erniedrigt sind.

Der fT3-Wert bleibt auf dem Weg in die Unterfunktion oft länger innerhalb des Referenzbereichs als fT4. Ein interessantes Detail: Wenn die Hormone knapp werden, kann fT3 in manchen Fällen sogar ansteigen, falls der Körper verstärkt das aktivere Hormon T3 herstellt. Dann könnte der fT4-Wert zum Beispiel sehr niedrig in der Norm liegen, und fT3 in der oberen Hälfte. Das heißt also: Ein fT3-Wert in der Mitte oder oberen Hälfte des Referenzbereichs spricht nicht grundsätzlich gegen eine leichte Tendenz zur Unterfunktion.

Achtung – es handelt sich hier um weiche Kriterien, die auf häufigen Erfahrungen beruhen. Aber niemand kann exakte Zahlen nennen, ab wann die freien Werte allgemein unter dem Optimum liegen. Eine Umrechnung der freien Werte in Prozent (Link zu Kapitel 4.1.) und die Bewertung der Prozentzahlen nach willkürlichen Vorgaben führt erst recht nicht weiter.

Unstimmigkeiten zwischen Werten aufklären

Der Vollständigkeit halber noch ein Hinweis: Falls TSH und freie Hormonwerte nicht zusammenpassen, sollte nach der Ursache geforscht werden. Wenn zum Beispiel eine Störung der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) vorliegt, können sowohl TSH als auch die freien Hormone vermindert sein. Solche Störungen sind aber selten. Häufiger kommt es vor, dass die freien Hormonwerte normal sind, aber das TSH erniedrigt ist, weil heiße Knoten dazwischen funken oder TRAK (siehe folgendes Kapitel über Schilddrüsen-Antikörper) vorliegen.

Möglich ist auch, dass der TSH-Wert trotz einer Tendenz zur Unterfunktion unauffällig bleibt, das muss nicht immer einen gewichtigen Grund haben. Manchmal bringt ein TRH-Test mehr Klarheit: Dabei wird TRH (Thyreotropin-Releasing-Hormon) gespritzt und etwas später gemessen, wie sich der TSH-Wert dadurch verändert. Eine endokrinologische Praxis wäre dafür die richtige Adresse. Der Test kommt allerdings nicht für Schwangere in Frage, und es gibt auch noch weitere medizinische Ausschlussgründe.

Aspirin / ASS und Schilddrüsenwerte

Falls Sie gelegentlich Acetylsalicylsäure (Aspirin, ASS) einnehmen, bedenken Sie, dass das Medikament die Schilddrüsenwerte beeinflussen kann: Es kann die Hormone aus der Eiweißbindung lösen und die freien Werte etwas erhöhen – dieser Effekt kann durchaus spürbar und messbar sein. Lassen Sie sich im Zweifel ärztlich oder in der Apotheke beraten, ob ein anderes Schmerzmittel besser geeignet ist.

Wenn Sie aussagekräftige Schilddrüsenwerte benötigen, sollten Sie in den Tagen vor der Blutentnahme möglichst auf Acetylsalicylsäure verzichten oder den Labortermin verschieben. Eine Ausnahme wäre, wenn Sie niedrig dosiertes Aspirin / ASS als Dauertherapie einnehmen – dann nehmen Sie es einfach ein wie immer.

Blogartikel: Revolution in der Schilddrüsendiagnostik: Ein Kommentar aus systembiologischer Sicht. (Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, 2020) https://blog.endokrinologie.net/revolution-in-der-schilddruesendiagnostik-4521/

Nächstes Kapitel: Schilddrüsen-Antikörper bei Hashimoto