Viele Hashimoto-Betroffene lesen in Büchern und im Internet, sie müssten wegen ihrer Diagnose unbedingt Gluten meiden, und sind deswegen verunsichert. Andere setzen große Hoffnungen auf eine glutenfreie Ernährung, gerade wegen solcher Behauptungen. Auch viele Heilpraktikerinnen und einzelne Ärzte empfehlen mittlerweile, auf Gluten zu verzichten, wenn jemand die Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis hat.

Verdacht auf Zöliakie unbedingt abklären!

Was ist an der Sache dran? Eindeutig ist die Lage nur, wenn jemand eine Zöliakie (Sprue) hat. Diese Autoimmunerkrankung des Dünndarms macht es notwendig, konsequent glutenfrei zu leben – und zwar strenger als Menschen, die wegen einer Hashimoto-Thyreoiditis freiwillig auf Gluten verzichten. Wer den Verdacht hegt, kein Gluten zu vertragen, sollte sich ärztlich auf eine Zöliakie untersuchen lassen und erst dann eine glutenfreie Diät beginnen. Sonst funktioniert die Testung womöglich nicht richtig und man müsste sich später wieder zu Gluten zwingen, um die Sache doch noch eindeutig abzuklären.

Wie wird eine Zöliakie festgestellt? Die einschlägigen Gliadin-Antikörper können Hausärztinnen und Endokrinologen im Labor testen lassen. In der Gastroenterologie können im Rahmen einer Magenspiegelung zusätzlich Proben aus dem Dünndarm genommen werden. Dabei wird untersucht, ob die Dünndarmzotten verändert sind. Das wäre sehr typisch für eine Zöliakie, kann aber auch bei anderen Problemen auftreten. Achtung: Diese Untersuchung ist nicht automatisch bei einer Magenspiegelung enthalten und wird nur bei Verdacht gemacht – es kann also sinnvoll sein, das anzusprechen.

Hashimoto und Zöliakie

Hat jemand eine Hashimoto-Thyreoiditis, ist nämlich das Risiko erhöht, an einer Zöliakie zu erkranken und umgekehrt. Deshalb kann es nicht schaden, sich nach einer dieser Diagnosen auf die jeweils andere Krankheit untersuchen zu lassen, manche Fachgesellschaften empfehlen das sogar. Hinzu kommt, dass eine Zöliakie nicht immer ganz typische Symptome mit sich bringen muss.

Ist die Zöliakie-Diagnose schließlich gestellt, müssen Betroffene alle glutenhaltigen Getreide und daraus hergestellten Produkte meiden: Dazu zählen Weizen, Dinkel, Grünkern, Roggen und Gerste. Der von Natur aus glutenfreie Hafer könnte nach einiger Zeit in den Speiseplan aufgenommen werden, wenn er zertifiziert und deshalb garantiert nicht mit anderen Getreiden verunreinigt ist. Generell erlaubt sind Reis und Mais, Hirse und Zwerghirse (Teff), Quinoa und Amaranth, Buchweizen und Kastanienmehl.

Link: Deutsche Gesellschaft für Zöliakie
www.dzg-online.de

Gluten als Ursache von Hashimoto?

Vor Jahren kam allerdings die Behauptung auf, glutenhaltige Ernährung sei eine Ursache der Hashimoto-Thyreoiditis. Der Ursprung dieser Geschichte liegt vermutlich in einem Blogartikel des amerikanischen Gesundheits-Unternehmers und Autors Chris Kresser. Unter dem Titel „The Gluten-Thyroid Connection“ behauptet er:

„The molecular structure of gliadin, the protein portion of gluten, closely resembles that of the thyroid gland. When gliadin breaches the protective barrier of the gut, and enters the bloodstream, the immune system tags it for destruction.“

Zu Deutsch: Die Molekularstruktur des Gliadins ähnelt dem der Schilddrüse. Wenn Gliadin die schützende Darmbarriere durchbricht und ins Blut gelangt, wird es vom Immunsystem angegriffen.

Das mag für Laien beeindruckend klingen, hat aber einen Haken: Es stimmt nicht. Es gibt nicht das eine Schilddrüsen-Protein, denn es handelt sich ja um ein komplettes Organ. Falls ein bestimmtes Protein gemeint sein sollte, hätte der Verfasser die Sache konkreter formulieren müssen. Die wissenschaftlichen Quellen, die Kresser unter seinem Blogartikel verlinkt hat, belegen seine Behauptung nicht einmal ansatzweise.

Dass die Geschichte von der Ähnlichkeit zwischen Getreide und Schilddrüse so populär geworden ist, hat auch damit zu tun, dass sie von einigen anderen Autoren übernommen und in Büchern abgedruckt wurde. Millionen Menschen möchten seitdem gerne glauben, eine glutenfreie Ernährung sei eine eine Hashimoto-Heildiät. Andere nehmen zumindest an, dass sich Gluten generell ungüstig auf Befinden und Verlauf bei Hashimoto auswirkt – das wurde sogar schon im NDR-Fernsehen nahe gelegt. Auch manche Heilpraktiker raten bei Hashimoto ganz pauschal von Gluten ab (Link zu Kapitel 9.2.).

Blogartikel: Ernährungsdocs: Kein Gluten bei Hashimoto?
https://schilddruesen-unterfunktion.de/2018/05/ernaehrungsdocs-kein-gluten-hashimoto/

Was spricht gegen die Gluten-Behauptung?

Betrachten wir es nicht molekular und immunologisch, sondern ganz praktisch: Es gibt zahlreiche Menschen mit diagnostizierter Zöliakie, die sich seit vielen Jahren sehr konsequent glutenfrei ernähren und trotzdem eine Hashimoto-Thyreoiditis haben. Viele von ihnen müssen L-Thyroxin einnehmen, um keine Unterfunktion zu bekommen.

Das heißt: Ihre glutenfreie Diät hat sie nicht davor geschützt und kann eine schon vorhandene Hashimoto-Krankheit auch nicht völlig heilen. Bei Menschen, die Zöliakie und Hashimoto haben, wäre höchstens denkbar, dass eine glutenhaltige Ernährung nicht nur die Zöliakie selbst verschlimmert, sondern indirekt auch die Hashimoto-Thyreoiditis verschlechtern könnte. Aber eindeutig bewiesen ist auch das nicht.

Link für Fachleute: Gluten-free diet and autoimmune thyroiditis in patients with celiac disease. Scand J Gastroenterol. 2012 Jan;47(1):43-8.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22126672/

Ein Teil des Gluten-Irrtums beruht außerdem auf sprachlichen und kulturellen Missverständnissen zwischen Amerika und Europa: „Hashimoto Healing“ heißt zwar auf Deutsch „Hashimoto-Heilung“, doch in den USA steht der Begriff „Healing“ nicht nur für völlige Genesung. Er wird auch in dem Sinn verwendet, dass man durch eine weiterhin vorhandene Krankheit nicht mehr eingeschränkt wird oder sich zumindest besser fühlt als vorher. Bei diesem Ziel soll Sie selbstverständlich auch dieser Ratgeber unterstützen!

Grundlagen-Kapitel zum Weiterlesen: Die Hashimoto-Thyreoiditis und ihre Auslöser

Warum schwören viele trotzdem auf glutenfreie Diät?

Dass die glutenfreie Ernährung bei Ratsuchenden mit Hashimoto-Thyreoiditis so beliebt ist, liegt nicht nur an einigen Missverständnissen – es hat auch damit zu tun, dass diese Diät manchen Menschen indirekt hilft. Denn auch bei glutenfreier Diät gilt: Alles, was die Ernährung stark einschränkt und mit strengen Regeln einher geht, kann indirekt beim Abnehmen helfen. Man kann nicht mehr spontan einkaufen zugreifen, sondern muss die Ernährung kontrollieren und planen. Und das ist manchen Hashimoto-Betroffenen nur recht, die durch die Tendenz zur Unterfunktion und einen Kalorienüberschuss deutlich zugenommen haben.

Hinzu kommt, dass es auch Menschen gibt, die zwar keine Zöliakie haben, aber von einer Gluten-Sensitivität oder Weizen-Unverträglichkeit betroffen sein dürften. Außerdem wäre denkbar, dass manche Menschen zwar kein Problem mit Gluten oder Weizen haben, aber doch unerkannte Probleme mit anderen Getreidebestandteilen. Ihnen geht es besser, wenn diese Bestandteile bei einer glutenfreien Ernährung ebenfalls wegfallen.

Wenn jemand Gluten oder Weizen tatsächlich nicht verträgt, sollten sich die Beschwerden spätestens nach drei Wochen Verzicht deutlich bessern. Ist das nicht der Fall, liegt womöglich ein anderes Problem vor, das nichts mit Weizen und Gluten zu tun hat. Wer speziell Brot nicht verträgt, sollte auch an andere Backzutaten denken und die Sache getrennt beobachten.

Manche Menschen berichten außerdem, dass sie nach einer Mahlzeit mit Weizen oder Gluten müde werden – vielleicht ist auch das ein Symptom einer Unverträglichkeit. Einen einfachen Labortest gibt leider nicht, hier ist man derzeit noch auf eigene Beobachtungen angewiesen. Manchmal können aber Veränderungen der Dünndarmzotten beobachtet werden, die einer Zöliakie ähneln – das wäre ein zusätzliches Argument für eine Magenspiegelung mit entsprechender Probe.

Gluten-Unverträglichkeit oder eher Weizensensitivität?

Die medizinische Leitlinie „Zölikakie, Weizenallergie und Weizensensitivität“ wird derzeit aktualisiert, federführend ist die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS). Seit 2018 gibt es außerdem ein Positionspapier zur „Nicht-Zöliakie-Gluten-/WeizenSensitivität (NCGS)“, veröffentlicht von der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI). Es weist vor allem auf fehlende Diagnosekriterien und weitere Unklarheiten hin.

Link: Nicht-Zöliakie-Gluten-/WeizenSensitivität (NCGS) – ein bislang nicht defniertes Krankheitsbild mit fehlenden Diagnosekriterien und unbekannter Häufgkeit (2018) www.dzg-online.de/files/reese_i_et_al_nicht-zoeliaki-gluten-weizen-sensitivitaet_ncgs_dgaki-posi.._.pdf

Möglicherweise ist gar nicht das Gluten das zugrunde liegende Problem, sondern die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) lösen eine leichte Entzündung des Darms aus. Die glutenhaltigen Getreide Weizen, Dinkel, Gerste und Roggen haben nämlich auch einen hohen ATI-Gehalt.

Blogartikel über Amylase-Trypsin-Inhibitoren: Wo sind sie drin?
www.ernaehrungsmedizin.blog/2018/02/04/amylase-trypsin-inhibitoren-wo-sind-sie-drin/

Das Fazit zu Gluten und Hashimoto-Thyreoiditis

Eine glutenfreie Diät heilt kein Hashimoto, bringt aber manchen Menschen indirekte gesundheitliche Vorteile. Es für einige Zeit mit mit einer glutenfreien Ernährung zu versuchen ist zwar umständlich, schadet aber nicht, solange der Speiseplan nicht zu einseitig wird. Wenn aber glutenfreie, ballaststoffarme Fertigprodukte überhand nehmen, könnte das auch Nachteile für die Verdauung und den Blutzucker mit sich bringen.

Allerdings können sehr spezielle Ernährungsweisen je nach Umfeld auch Aktivitäten einschränken und die soziale Isolation fördern: Es kann sehr kompliziert werden, gemeinsam mit anderen zu essen und zu feiern. Wer durch glutenfreie Ernährung keinerlei Vorteile bemerkt, sollte also nicht zögern, bei Bedarf wieder glutenhaltige Lebensmittel zu essen. Niemand muss sich von einem Buch, einen Blogartikel oder einer Facebook-Gruppe unter Druck setzen lassen, wenn sowohl Fakten als auch die eigene Erfahrung in eine andere Richtung weisen.

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