Progesteron ist ein Sexualhormon, das vor allem in der zweiten Zyklushälfte im Gelbkörper entsteht. Bei Schwangeren wird es in der Plazenta gebildet, es ist für die Schwangerschaft unverzichtbar. In geringen Mengen kommt es auch bei Männern vor, es verweiblicht den Körper nicht.

Das Progesteron des menschlichen Stoffwechsels ist aber auch als Medikament verfügbar. Es wird im Labor aus pflanzlichen Vorstufen hergestellt und ist naturidentisch (bioidentisch) gebaut. Als Ausgangsstoff für die Herstellung dient üblicherweise die Yamswurzel.

Progesteronmangel ist natürlich, aber …

Ein Mangel an Progesteron kann je nach Lebensalter und Zyklusphase ganz natürlich sein, die Produktion des Hormons kann schon in der Prämenopause abnehmen. Auch wenn das ganz normal ist, kann der Mangel einige Beschwerden auslösen: Besonders typisch sind Wassereinlagerungen, die das oft erwähnte Brustspannen und eine leichte Gewichtszunahme mit sich bringen. Auch Verdauungsbeschwerden und psychische Symptome sind möglich.

Viele Frauen möchten diese Beschwerden gerne lindern oder ganz loswerden. In diesem Kapitel geht es um die Behandlung mit Progesteron, im folgenden Kapitel um die Behandlung mit Östrogenen. (Allgemeine Erklärungen zu den Sexualhormonen bei Frauen und den Zusammenhängen mit der Schilddrüse finden Sie in den vorigen Kapiteln.)

Die Behandlung mit bioidentischem Progesteron

Progesteron wird eingesetzt, um einen Progesteronmangel, eine Östrogendominanz und auch manche Beschwerden des prämenstruellen Syndroms (PMS) zu behandeln: Oft sind die Symptome wie zum Beispiel Brustspannen so eindeutig, dass Laborwerte gar nicht nötig sind. Das naturidentische Hormon kann ärztlich verschrieben werden – auch als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen.

Progesteron-Gel ist in erster Linie dafür gedacht, es bei Spannungsgefühlen auf die Brüste aufzutragen. Das bekannteste Produkt ist „Progestogel“. Da es niedrig dosiert ist, kann es sehr vorsichtig und flexibel angewandt werden, das heißt, die Anwenderin kann mit einer niedrigen Progesteron-Dosis beginnen. Wer höhere Dosierungen braucht, kann sich Kapseln verschreiben lassen, die es zum Einnehmen und für die vaginale Anwendung gibt. Solche Kapseln werden oft verschrieben, wenn es auf die Wechseljahre zugeht und die Zyklen oft verkürzt sind. Das individuelle Vorgehen können Patientinnen und Interessierte mit ihrem behandelnden Arzt abstimmen.

Natürliches Progesteron – was ist da gemeint?

Außerdem ist es grundsätzlich möglich, eine etwas teurere Progesteroncreme auf Privatrezept anrühren zu lassen, in der das Hormon üblicherweise stärker konzentriert ist als im gängigen „Progestogel“. Diese Cremes werden von manchen Privatärzten als „natürliches Progesteron“ beworben, sollten aber denselben Wirkstoff enthalten wie andere Progesteron-Präparate: Progesteron ist per Definition immer das naturidentisch (bioidentisch) gebaute Hormon.

Fragen Sie im Zweifel einfach, was mit „natürlichem Progesteron“ konkret gemeint ist und ob es einen Unterschied zum gängigen Produkt aus der Apotheke gibt. Es kommt weniger darauf an, ob ein Hormon aus dem Labor stammt. Entscheidend ist, ob es naturidentisch (bioidentisch) gebaut ist und folglich genauso wirkt wie das menschliche Original, oder ob es mit seinem natürlichen Vorbild aus dem menschlichen Stoffwechsel lediglich etwas gemeinsam hat und dann anders oder gar nicht wirkt.

Weitere Unterschiede zwischen den verschiedenen Progesteron-Produkten zum Auftragen auf die Haut ergeben sich aus dem Progesterongehalt. Dieser ist kann in Prozent angegeben sein oder auch in Milligramm pro Standard-Dosis. Manche Anwenderin interessiert sich auch für die weiteren Zutaten einer Creme oder eines Gels: Progestogel ist zum Beispiel fettfrei und enthält Alkohol.

Für bioidentische Hormontherapie nicht geeignet!

In manchen alternativen Produkten aus dem Internet ist nicht direkt Progesteron drin, sondern ein Extrakt aus der Yamswurzel. Der Extrakt enthält zwar eine Vorstufe des Progesterons (Diosgenin), wurde aber nicht im Labor zu Progesteron umgewandelt. Auch unser Stoffwechsel ist dazu nicht fähig, daher kann auch nicht dieselbe Wirkung erwartet werden wie von bioidentischen Progesteron-Präparaten.

Wenn in der medizinischen Literatur von „Gestagenen“ die Rede ist, könnte bioidentisches Progesteron mitgemeint sein, weil es theoretisch auch unter diesen Oberbegriff fällt. Aber meist geht es unter dem Namen Gestagene um solche Hormone, die dem Progesteron in ihrer Bauweise lediglich ähneln und vom Hersteller patentiert wurden. Sie sind zum Beispiel für hormonelle Verhütungsmittel (Pille) notwendig und wirken ganz gezielt auf die Gebärmutterschleimhaut und die Eierstöcke ein.

Homöopathische Präparate auf Hormonbasis (siehe Kapitel 9.5.) sind gar kein Ersatz für richtige Hormone. Falls Sie nur eine geringe Menge eines benötigten Hormons vertragen sollten oder vermuten, dass Sie sensibel reagieren, ist es sinnvoller, wenn Sie das Gel oder die Creme entsprechend sparsam dosieren oder vorher mit einer geeigneten Creme strecken.

Wer wegen PMS nicht gleich Progesteron einsetzen möchte, könnte im ersten Schritt versuchen, die im vorigen Kapitel genannten PMS-Verstärker zu meiden sowie auf eine gute Versorgung mit B-Vitaminen (Link zu Kapitel 11.2.) und Magnesium zu achten: Dieses Mineral könnte sogar den Appetit auf Schokolade reduzieren, denn Kakao enthält nicht wenig Magnesium (Kapitel 10.6.). Das Spurenelement Zink darf ebenfalls versucht werden (Kapitel 10.4.).

Möglicherweise hilft auch die Pflanzenheilkunde mit dem Mönchspfeffer (Agnus castus) (Link zu Kapitel 9.1.).

Progesteron-Anwendung und die Wirkungen

Die Packungsbeilage des Progesteron-Gels enthält zwar Angaben zur Dosierung, die genannte Dosis muss aber nicht für jede Frau passen. Der tatsächliche Bedarf muss auch nicht an jedem Anwendungstag und in jedem Zyklus gleich hoch sein, daher sind manchmal individuelle Anpassungen nötig.

Wie anfangen? Hier ein beispielhaftes Therapieschema für Progesteroncreme bei PMS (angelehnt an das Autorinnen-Team Annemarie Scheuernstuhl und Anne Hild): Die Anwenderin beginnt etwa in der Mitte des Zyklus mit einer niedrigen Menge und steigert sie langsam, zum Beginn der Monatsblutung setzt sie Progesteron wieder ab. Es gibt aber auch Ärzte, die empfehlen, schon in der zweiten Zykluswoche mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und dann von Woche zu Woche zu steigern.

Hat eine Frau in den Wechseljahren keinen Zyklus mehr, kann sie ähnlich vorgehen, das heißt: Jeden Monat eine etwa einwöchige Pause machen, danach für zwei Wochen eine mäßige Dosis anwenden und diese in der letzten Woche erhöhen. – Das ließe sich in niedrigerer Dosis auch mit dem Progesteron-Gel umsetzen.

Das Gel oder die Creme können Sie im Prinzip überall außer auf Schleimhäuten auftragen. Äußerlich angewandte Hormone sollen an den dünnen Hautstellen wie den Innenseiten der Arme oder der Kniekehlen besonders gut aufgenommen werden. Allgemein wird bei der transdermalen Anwendung eine niedrigere Dosis benötigt als bei der Einnahme als Tablette oder Kapsel, weil der Umweg über das Verdauungssystem entfällt – dieser Punkt gilt auch für Östrogene, die im nächsten Kapitel behandelt werden.

Die orale Einnahme als Kapsel hat trotzdem auch Vorteile: Progesteron wird so besser in den Stoff Allopregnanolon umgewandelt, der den Schlaf verbessert und auch angstlösend wirken kann. Daher ist es sinnvoll, Progesteron-Kapseln am Abend einzunehmen. Es gibt sie auf Rezept in den Dosierungen 100 und 200 mg. Solche Mengen sind auch geeignet, um eine Östrogen-Behandlung mit Estradiol in üblichen Dosierungen auszugleichen. Wegen der entspannenden Wirkung kämen die Kapseln auch bei PMS in Frage.

Link für Fachleute: Gestagengabe in der Menopause: Was sind Unterschiede, Vorteile und Nachteile der einzelnen Präparate? (Journal für Gynäkol. Endokrinologie/ Schweiz, 2021) https://link.springer.com/article/10.1007/s41975-021-00191-2

Andererseits kann eine Überdosierung von Progesteron bei einigen empfindlichen Frauen etwas Unruhe mit sich bringen und fast wie eine leichte Überfunktion der Schilddrüse anfühlen. Möglicherweise spielen hier aber nicht die Schilddrüsenwerte, sondern eine Umwandlung des Progesterons in Testosteron eine Rolle. Dann kann es helfen, die Dosis zu reduzieren. Falls das nicht reicht, käme möglicherweise ein Versuch mit Pregnenolon in Frage, das der Körper in Progesteron umwandeln kann (siehe auch nächstes Kapitel über eine Behandlung mit Östrogenen und Alternativen).

Falls Sie bereits Progesteron anwenden und mit Pregnenolon beginnen, brauchen Sie deswegen Progesteron nicht absetzen. Diese beiden Hormone können sich auch gut ergänzen. Beobachten Sie einfach, was sich verändert, und besprechen auftauchende Fragen mit der Gynäkologin.

Progesteron, Schilddrüse und Hashimoto

Auch wenn bei der Progesteron-Anwendung keine Symptome auftreten, können Schilddrüsen-Patientinnen sicherheitshalber ihre Schilddrüsenwerte kontrollieren lassen und prüfen, ob die derzeitige Dosis L-Thyroxin noch stimmt: Möglicherweise ist der Bedarf an Schilddrüsen-Hormonen dank Progesteron ein klein wenig gesunken.

Die von manchen Autoren geweckte Erwartung, eine eindeutige Schilddrüsen-Unterfunktion ausschließlich mit Progesteron zu beheben, wäre aber nicht realistisch: Eine gesunde Schilddrüse kann auf Schwankungen und Veränderungen der Sexualhormone angemessen reagieren, eine Hashimoto-Schilddrüse je nach Stadium der Krankheit nur noch begrenzt (siehe Kapitel 1.5 zum Verlauf der Hashimoto-Thyreoiditis). Deshalb ist es besser, die tatsächlichen Effekte von Progesteron auf die Schilddrüsenwerte zu prüfen und wenn nötig, darauf zu reagieren, statt sich schon im Voraus auf eine gewünschte Wirkung zu versteifen.

Für Frauen mit Hashimoto-Thyreoiditis ist nebenbei interessant, dass Progesteron das Autoimmungeschehen ein wenig dämpfen kann – auch bei äußerlicher Anwendung: Es liegt nämlich am hohen Progesteronspiegel, dass Autoimmunerkrankungen in der Schwangerschaft tendenziell besänftigt werden.

Wenn Sie möchten, dürfen Sie Progesteron in Form von Gel oder Creme auch auf die Haut am Hals nahe der Schilddrüse auftragen. Ob sich eine Progesteron-Behandlung tatsächlich in den Laborwerten der Schilddrüsen-Antikörper niederschlägt, braucht aber nicht extra kontrolliert werden.

Risiken rund um Progesteron

Dass Progesteron naturidentisch ist, bedeutet nicht, dass Risiken völlig ausgeschlossen sind: Wenn eine Frau bereits einen Tumor in der Brust hat und dieser entsprechende Rezeptoren, kann sein Wachstum durch zusätzliches Progesteron gefördert werden. Wenn Brustkrebs in der Familie liegt, sollte in jedem Fall eine Beratung bei spezialisierten Fachleuten aufgesucht und womöglich getestet werden, ob eine genetische Veranlagung vorliegt.

Andere Frauen müssen nicht vorbeugend auf Progesteron verzichten und alle Beschwerden aushalten. Schwangere haben viele Monate lang sehr hohe Spiegel an natürlichem Progesteron, ohne davon krank zu werden. Trotzdem ist es allgemein sinnvoll, sich mit der monatlichen Selbstuntersuchung der Brust zu befassen und die jährlichen Früherkennungs-Untersuchungen bei der Gynäkologin tatsächlich zu nutzen. Um ertastete Knoten oder Zysten abzuklären, sind zertifizierte Brustzentren eine gute Anlaufstelle.

Zu wenig Progesteron ist aber viel öfter ein Problem als zu viel davon: Ein Progesteronmangel kann in frühen Phasen der Schwangerschaft zu Fehlgeburten führen. Falls dieser Verdacht besteht, lassen Sie sich bitte von einer erfahrenen Gynäkologin beraten, wie das Hormon in Ihrem Fall angewandt werden sollte. Frauen, die Progesteron bereits verwenden und vermuten, schwanger zu sein, sollten Progesteron derweil nicht absetzen, sondern sich ebenfalls ärztlich beraten lassen. Das heißt also: Progesteron ist für eine Schwangerschaft unbedenklich, ein Mangel oder zu frühes Absetzen kann aber Probleme bereiten.

Voriges Kapitel: Von der Prämenopause zu den Wechseljahren

Nächstes Kapitel: Die Behandlung mit Östrogenen und Alternativen

Übernächstes Kapitel: Sexualhormone bei Männern – Testosteron und mehr

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