Beim Thema Jod wird es paradox: Allen Fakten und Erfahrungen zum Trotz ist es in den letzten Jahren in Mode gekommen, hoch dosiertes Jod einzunehmen – sogar bei einer eindeutig festgestellten Hashimoto-Thyreoiditis. Das passiert vor allem auf dem Weg der Selbstbehandlung, unterstützt durch einige Bücher, Facebook-Gruppen und so genannte Jodtherapeuten, die ein „Jodprotokoll“ propagieren.
In diesem alternativmedizinischen Bereich begnügt man sich allerdings nicht mit der herkömmlichen Jodtablette aus der Apotheke oder aus der Drogerie, die etwa 75 bis 150 µg Jod enthält. Solche gängigen Tabletten wären geeignet, um bei Menschen mit gesunder Schilddrüse eine knappe Jodversorgung oder einen erhöhten Jodbedarf auszugleichen. Diese oft sinnvollen Anwendungen betreffen zum Beispiel Schwangere sowie vegan lebende Menschen. Der Tagesbedarf von Erwachsenen liegt etwa bei 150 bis 200 Mikrogramm. (Allgemeine Informationen finden Sie im Kapitel 10.1. über Jod für die Schilddrüse sowie im Kapitel 2.8.: Oder doch Jodmangel? Dort geht es im unteren Teil um alternative Diagnostik.)
Allerdings propagiert der extreme Trend aus den USA, um den es in diesem Kapitel gehen soll, die rund 500-fache Menge oder mehr. Solche Dosen waren bisher nur in besonderen Situationen üblich, in denen eine Jodblockade der Schilddrüse das Ziel war (siehe folgende Abschnitte).
Inhalte dieses Kapitels
Jodtabletten – bitte Mengenangaben beachten!
In Mitteleuropa sind Tabletten mit Dosierungen im Milligrammbereich normalerweise nicht als Nahrungsergänzungsmittel im Handel, auch Ärzte können sie nicht verschreiben. Deshalb werden sie von den Fans der alternativen Anwendung über das Internet bezogen, zum Beispiel das amerikanische Präparat „Iodoral“. Bitte achten Sie bei Jodtabletten genau auf Mengenangaben und Einheiten – ein Milligramm (mg) entspricht tausend Mikrogramm (µg).
Dass Anhängerinnen dieser Hochdosis versichern, es gehe ihnen gut, bedeutet aber nicht, dass die Sache ungefährlich wäre, oder gar allgemein empfehlenswert. Dosierungen im Milligrammbereich können nämlich eine Jodblockade der Schilddrüse auslösen, die unter Fachleuten auch als Wolff-Chaikoff-Effekt bekannt ist: Wird die Schilddrüse mit einem drastischen Überangebot an Jod konfrontiert, schließt sie ihre Follikel und nimmt kein Jod mehr auf. Folglich wird auch die Hormonproduktion massiv gebremst.
Anwendungen der Jodblockade
Dieser Effekt wird medizinisch in zwei Sonderfällen genutzt: Er kann bei Patientinnen mit Überfunktion angewandt werden, wenn deren Schilddrüse einige Tage später per Operation entfernt werden soll: Zur Vorbereitung wird die Schilddrüse per Jodblockade sozusagen stillgelegt, der Fachbegriff ist „Plummerung“. (Die Schilddrüse könnte aber auch jodfrei blockiert werden, nämlich mit Natriumperchlorat.)
Die zweite Anwendung der Jodblockade: Nach Atomunfällen werden hoch dosierte Jodtabletten an die Bewohner der stark verstrahlten Umgebung ausgegeben. Damit soll weitgehend verhindert werden, dass die Schilddrüse radioaktives Jod aufnimmt. In diesem Fall lassen die Behörden Tabletten verteilen, die etwa 50 Milligramm (mg) Jod in Form von Kaliumjodid enthalten. Diese Jodtabletten dürfen nur befristet eingenommen werden, bis das radioaktive Jod in der Umgebung dank der kurzen Halbwertszeit fast vollständig zerfallen ist.
Derartige Jodtabletten sind nur für diesen Zweck gedacht. Sie sind aber auch in der Extremsituation eines Strahlenunfalls nicht für alle Menschen gleichermaßen geeignet: Wer eine Überfunktion hat, sollte diese Tabletten nicht anwenden. Menschen ab 45 Jahren wären in Deutschland sogar von der Verteilung ausgenommen, weil ab mittlerem Alter heiße Knoten häufiger vorkommen als bei jungen Menschen. Außerdem wären ältere Menschen durch eine hohe Strahlenbelastung weniger gefährdet als Kinder und Jugendliche.
Link: Informationen des Bundesministeriums für Reaktorsicherheit
www.jodblockade.de
Risiken der Jodblockade
Eine Jodblockade durch hoch dosierte Präparate hält bei Menschen mit gesunder Schilddrüse ungefähr zwei Wochen lang an. Danach öffnen sich die Follikel wieder und der Jodüberschuss strömt aus der Schilddrüse. Dieser Effekt tritt aber nicht verlässlich ein, wenn die Schilddrüse schon krank ist: Bei heißen Knoten, bei Morbus Basedow und möglicherweise auch bei einer Hashimoto-Thyreoiditis kann ein massiver Jodüberschuss in der Schilddrüse verbleiben. Dort steht er auch für die Hormonproduktion zur Verfügung, sodass es zu einer starken Überfunktion kommen könnte.
Klappt das Ausströmen des Jods aus der Schilddrüse dagegen perfekt, passiert das zwar nicht. Allerdings wäre bei langfristiger Anwendung sogar ein Jodmangel denkbar, obwohl ständig Jod in großen Mengen zugeführt wird. Auch ein Kropf kann sich dabei bilden. Dieses Phänomen ist in Teilen Japans als „endemische Küstenstruma“ bekannt und wird durch eine Ernährungsweise verursacht, die reich an Seetang ist. Es ist gut denkbar, dass sich dies bei Menschen abspielt, die glaubhaft versichern, dass sie ihre Hochdosis Jod gut vertragen – zumindest für einige Zeit.
Fachliteratur: Consequences of excess iodine (Nat Rev Endocrinol. 2014 Mar; 10(3): 136–142)
www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3976240/
Im Rahmen des so genannten Jodprotokolls setzen viele Fans der Hochdosis begleitend noch weitere Stoffe ein, darunter Selen, Zink, Magnesium, Vitamin C und B-Vitamine. Das Spurenelement Selen kann zwar teilweise die negativen Effekte einer Jodaufnahme in der Schilddrüse ausgleichen. Doch das gilt nur für solche Jodmengen, wie man sie üblicherweise mit der Nahrung aufnimmt: Eine Überfunktion oder eine Jodblockade kann Selen nicht verhindern.
Entgiften mit der Hochdosis-Jodtherapie?
Trotz der gut bekannten Risiken nehmen manche Menschen über Monate und Jahre hoch dosiertes Jod ein: Sie besorgen sich Tabletten mit einer Dosis von 10 bis 50 mg über das Internet oder nehmen Jod in flüssiger Form zu sich, indem sie die „Lugol’sche Lösung“ zweckentfremden. Was wollen die Anhänger der Hochdosis bewirken? Mancher Fan begründet sein Vorgehen damit, dass der Körper entgiften soll. Beim Stichwort Entgiftung stellt sich immer die Frage, von welchen Giften eigentlich die Rede ist und ob die Sache wirklich funktionieren kann, wenn man sie chemisch genauer betrachtet.
Die hoch dosierte Jodtherapie wird in der Fangemeinde damit begründet, dass das chemische Element Jod zu den Halogenen zählt und es im Körper schädlichere Halogene verdrängen soll, nämlich Fluor und Brom. Diese Behelfserklärung lässt völlig offen, wieso dieser scheinbare Zweck nicht auch durch Kochsalz erfüllt wird – Natriumchlorid enthält bekanntlich das Element Chlor, das ebenfalls ein Halogen ist. Und davon konsumieren wir täglich mehrere Gramm, vor allem in Form von Speisesalz.
Hinzu kommt, dass manche Halogenverbindungen tatsächlich Umweltschadstoffe sind, die man sehr kritisch sehen sollte. Aber diese sind großteils in Form von organischen Verbindungen im Fettgewebe eingelagert und können nicht mehr ausgeschwemmt werden – auch nicht durch eine Hochdosis Jod.
Zwei Alltags-Tipps für weniger Gifte
Wenn Sie giftige Fluor-Verbindungen meiden möchten, kaufen Sie bitte keine Imprägnier-Sprays! Es hat ernsthafte Gründe, warum man sie nur draußen anwenden und den fluor-haltigen Sprühnebel nicht einatmen soll.
Außerdem sollten fetthaltige Lebensmittel nicht in solchem Plastik verpackt sein, das Weichmacher enthält – das kann zum Beispiel bei manchen Deckel-Dichtungen von Schraubgläsern der Fall sein. Wird das Essen in Mikrowellen-Geschirr erhitzt, können ebenfalls problematische Substanzen in die Nahrung übergehen, sodass man dafür besser Porzellan (ohne Goldrand) oder hitzefestes Glas verwendet.
Schützt Jod vor Brustkrebs?
Außerdem wird die Hochdosis Jod in alternativen Kreisen zur Vorbeugung von Brustkrebs beworben. Manchmal wird sogar allgemein behauptet, dass sie vor Krebs schützt. Was steckt dahinter? Die Brustdrüsen speichern etwas Jod, weil es bei Müttern von Säuglingen für die Milchbildung gebraucht wird. Und es gibt tatsächlich wissenschaftliche Überlegungen, ob die in Japan übliche, etwas jodreichere Ernährung möglicherweise dazu beiträgt, dass Japanerinnen seltener Brustkrebs bekommen als Europäerinnen.
Hinzu kommen Laborversuche an Mäusen und Zellkulturen: Tierversuche weisen darauf hin, dass ein Jodmangel eine Mastopathie der Brust begünstigen könnte, die wiederum das Brustkrebsrisiko erhöhen könnte. In Zellkulturen wurde das Wachstum von Brustkrebszellen durch hinzu gegebenes Jod gebremst.
Link: Jod gegen Brustkrebs (Ärztezeitung 2012)
www.aerztezeitung.de/Medizin/Jod-gegen-Brustkrebs-274063.html
Daraus sollte man aber keine voreiligen Schlüsse ziehen: Dass Brustkrebs in Japan seltener ist als in Europa, könnte auch andere Gründe haben, denn es gibt ja noch weitere Unterschiede in der Ernährung und im Lebensstil – Japanerinnen sind zum Beispiel viel seltener übergewichtig als Europäerinnen und dürften deshalb auch seltener von einer Östrogendominanz betroffen sein (Link zu Kapitel 6.2.).
Lebensstil in Japan – nicht nur Jod zählt
Die in Japan oft verzehrten Algen enthalten nicht nur Jod, sondern auch gesunde Furanfettsäuren (kurz F-Säuren), über die man noch wenig weiß. Bemerkenswert ist auch, dass die traditionelle japanische Speise Natto reich an Vitamin K2 ist. Ein statistisch gehäuftes Zusammentreffen zweier Phänomene (wie etwa bei Jodversorgung und Brustkrebs) beweist jedenfalls noch keinen ursächlichen Zusammenhang, sondern kann einen Anstoß für genauere Untersuchungen geben.
Außerdem kennt die Medizin beim Brustkrebs verschiedene Tumortypen, die auf eine hohe Jodzufuhr unterschiedlich reagieren könnten – falls es überhaupt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Jod und Brustkrebs gibt. Und schließlich geht es bei den medizinischen Überlegungen zu eventuellen Zusammenhängen gar nicht darum, eine dauerhafte Jodblockade herbeizuführen: Es geht lediglich darum, einen Jodmangel zu verhindern oder Jod etwas großzügiger zuzuführen als in Europa üblich.
Man denkt da zu Recht an eine Ernährung wie in Japan. Doch diese Lebensweise birgt auch einige Risiken: Die Hashimoto-Thyreoiditis wurde wohl nicht zufällig in Japan entdeckt, wo sie häufiger vorkommt als in Europa. Dabei spielt der Konsum von Algen eine große Rolle, deren Jodgehalt sich je nach Art und Bearbeitung deutlich unterscheiden kann. Jod in hohen Dosierungen kann Morbus Basedow oder Hashimoto-Thyreoiditis auslösen (Link zu Kapitel 1.4.), die bereits Erkrankten können durch zu viel Jod einen neuen Krankheitsschub erleben. Auch Menschen mit heißen Knoten in der Schilddrüse können Probleme bekommen. Das gilt für Jod aus natürlichen Quellen genauso wie für Jodtabletten, die die Salzverbindung Kaliumjodid enthalten. Außerdem kann Jod auch über die Haut aufgenommen werden.
Warnung vor der Hochdosis Jod
Bei hohen Dosen von etlichen Milligramm Jod pro Tag, die auch in Japan die Ausnahme sind, sind erst recht Probleme zu erwarten. Das ist Grund genug, bei diesem Abenteuer nicht mitzumachen, auch wenn nicht jeder Einzelne sofort Probleme bekommen muss.
In den USA hat die Fachgesellschaft „American Thyroid Association“ bereits auf die gefährliche Modewelle reagiert (siehe Link): Sie warnt die Allgemeinheit davor und stellt klar, dass eine sinnvolle Dosierung des Spurenelements erheblich niedriger liegt. Wer einen Jodmangel verhindern möchte, wäre also mit einer Tagesdosis von 150 µg Jod weiterhin gut bedient und bräuchte höchstens in Schwangerschaft und Stillzeit etwas mehr, sollte aber die 500 µg nicht überschreiten.
Link: ATA committee releases statement on risks of excess iodine ingestion, exposure (2015)
www.healio.com/news/endocrinology/20150206/ata-committee-releases-statement-on-risks-of-excess-iodine-ingestion-exposure
Dies sind wie gesagt allgemeine Empfehlungen der American Thyroid Association, die nicht speziell auf die Hashimoto-Thyreoiditis abgestimmt sind. Wer eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse hat, sollte das Thema Jod noch vorsichtiger angehen und sich nicht vom Gruppendruck auf Facebook und anderswo in die Irre führen lassen.
Voriges Kapitel: Amalgamsanierung und Entgiftung wegen Hashimoto?
Nächstes Kapitel: Was bietet die Homöopathie?
Übernächstes Kapitel: Nahrungsergänzungsmittel – sinnvoll oder schädlich?