Pflanzliche Medikamente haben einen guten Ruf als sanfte Medizin. Viele Menschen behandeln sich damit bei leichten Beschwerden selbst, andere konsultieren den Hausarzt oder eine Heilpraktikerin. Die Pflanzenheilkunde hat sich über Jahrhunderte aus dem Erfahrungswissen entwickelt und wurde von Generation zu Generation weitergegeben.

Heutzutage bestehen pflanzliche Arzneimittel meist aus Extrakten, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen gewonnen wurden. Die Qualität des Trockenextrakts hängt vom verwendeten Material und vom Herstellungsverfahren ab. Von einigen Pflanzen werden auch die Öle medizinisch genutzt, das betrifft etwa Schwarzkümmel, Nachtkerze und Pfefferminze.

Manche Präparate sind heute standardisiert und teilweise in klinischen Studien untersucht. Deren Ergebnisse sind nicht unbedingt auf alle Nachahmer-Produkte übertragbar, da die Unterschiede groß sein können. Außerdem sind in verschiedenen Präparaten unterschiedliche Mengen an Trockenextrakt enthalten. Das gilt natürlich erst recht, wenn die Pflanzenteile als Tees verwendet werden, hier ist die Wirksamkeit meistens ungewiss. Hinzu kommt, dass Kräuter bei längerer Lagerung ihre Wirkung verlieren.

Bitte bedenken Sie: Wirksame pflanzliche Mittel sind nicht automatisch harmlos. Auch sie können Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben und sollten nicht unbedacht verwendet werden. Als Nebenwirkungen sind zum Beispiel allergische Reaktionen und Magen-Darm-Probleme bekannt. Besonders sorgfältig sollten Sie mit Präparaten umgehen, die hormonell bedingte Beschwerden lindern sollen. Manche können tatsächlich in den Hormonhaushalt eingreifen, auch wenn sie nicht verschreibungspflichtig sind. Auch vor einer Einnahme in der Schwangerschaft oder Stillzeit sollte geprüft werden, ob das pflanzliche Medikament tatsächlich in Frage kommt.

Pflanzenheilkundliche Mittel für Psyche und Nerven

In diesem ersten Abschnitt geht es vor allem um Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen, Ängsten und Schlafproblemen. Beachten Sie bitte auch die allgemeinen Kapitel dieses Ratgebers über Depressionen und depressive Verstimmungen sowie über Schlafstörungen (Links zurück zu Teil 7).

Johanniskraut (Hypericum perforatum) gegen Depressionen

Die Pflanze wird vor allem als Stimmungsaufheller bei leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt. Sie kann auch bei Winterdepressionen und bei psychischen Beschwerden in den Wechseljahren versucht werden. Speziell bei ängstlichen Symptomen eignen sich aber andere Heilpflanzen besser (siehe weiter unten).

Johanniskraut ist ein vergleichsweise gut erforschtes pflanzliches Mittel, auch wenn seine Wirkungsweise nicht vollständig entschlüsselt ist. Klinische Studien über die Wirksamkeit liegen für mehrere Präparate vor, die in Deutschland ärztlich verschrieben werden können (wenn Sie in einem anderen Land leben, können Sie in der Apotheke oder bei der Krankenkasse nachfragen).

Damit von Johanniskraut-Präparaten eine direkte Wirkung erwartet werden kann, sollten sie ausreichend dosiert sein. Dafür sind 460 bis 800 Milligramm Trockenextrakt nötig – solche Produkte gibt es in der Apotheke. Eine Wirkung baut sich erst im Lauf einiger Wochen auf, dann kann eingeschätzt werden, ob das Präparat dem einzelnen Menschen tatsächlich hilft. Allerdings kann der Bedarf an L-Thyroxin steigen. Außerdem kann Johanniskraut die Wirkung anderer Medikamente verstärken oder abschwächen, dies betrifft unter anderem die Anti-Baby-Pille, Estradiol-Präparate und einige Antidepressiva.

Während der Sommermonate wird Johanniskraut manchmal nur eingeschränkt empfohlen, weil es zu Photosensibilisierungen der Haut kommen könnte. Das ist allerdings nicht generell der Fall – die Empfindlichkeit dafür ist individuell unterschiedlich, auch unter hellhäutigen Menschen. Die Sonne vorbeugend konsequent zu meiden ist jedenfalls nicht sinnvoll, da Sonnenlicht und Bewegung im Freien ebenfalls stimmungsaufhellend wirken können. Wer Johanniskraut im Sommer nicht verträgt, sollte es vorübergehend absetzen oder sich zumindest mit hohem Lichtschutzfaktor eincremen. Es gibt heutzutage fettfreie Sonnenschutzsprays, die sich auf der Haut nicht klebrig anfühlen.

Link: Was von Passionsblume, Lavendel und Johanniskraut zu erwarten ist (Deutsche Apotheker Zeitung 12/2013)
www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2013/daz-12-2013/was-von-passionsblume-lavendel-und-johanniskraut-zu-erwarten-ist

Passionsblume (Passiflora incarnata) gegen Ängste

Die Passionsblume wird traditionell bei leichten Einschlafproblemen, bei nervöser Unruhe oder Ängsten verwendet. Ist der Extrakt ausreichend dosiert, kann er tatsächlich gegen nervöse Unruhe und Ängstlichkeit sowie beim Einschlafen helfen. Verschiedene Hersteller empfehlen Tagesdosen zwischen 500 und 1200 mg. Die Wirkung viel niedriger dosierter Anteile in manchen Präparaten ist also fraglich.

Damit kann die Pflanzenheilkunde durchaus Alternativen zu Benzodiazepinen bieten – bei weit geringeren Nebenwirkungen. Benzodiazepine sollen aber nicht parallel zu Baldrian und Passionsblume eingenommen werden. Eine Kombination aus Passionsblume und Johanniskraut könnte allerdings bei Depressionen einen Versuch wert sein.

Link: Passiflora: Passionsblumen-Extrakt bei Nervosität, Angst und Schlafstörung – Wirksam oder unwirksam?
http://wirksam-oder-unwirksam.blogspot.com/2012/11/passiflora-passionsblumen-extrakt-bei.html

Baldrian (Valeriana officinalis) zur Beruhigung

Auch Baldrian darf mit Johanniskraut kombiniert werden und kann dessen Wirkung unterstützen. Hoch dosierte Baldrianpräparate können tatsächlich beruhigend und ausgleichend auf die Stimmung wirken. Sie werden vor allem gegen gegen leichte bis mittlere Formen von Nervosität, Unruhe und innere Anspannung eingesetzt, außerdem gegen Schlafstörungen. Ob sich Baldrian auch günstig auf Ängste auswirkt, ist nicht ausreichend erforscht.

Auch Baldrian muss eine Weile eingenommen werden, bis sich seine beruhigende Wirkung entfaltet. Baldrian ist zwar kein natürliches Schlafmittel, aber er kann die Schlafbereitschaft erhöhen, sodass man leichter einschläft. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass er bei manchen Menschen auch die Schlafqualität verbessern kann. Manche Hersteller kombinieren Baldrian mit anderen Extrakten, vor allem mit Passionsblume und Hopfen.

Wichtig zu wissen ist aber auch: Nervosität und Einschlafbeschwerden könnten ein Symptom der Überfunktion sein (Link zu Kapitel 1.3. dieses Ratgebers). Dann wäre es in erster Linie wichtig, die Schilddrüsenmedikamente entsprechend anzupassen (oder im ersten Schritt eine Diagnose zu bekommen).

Link: Baldrian zur Behandlung von Schlafstörungen – wirksam oder unwirksam?
http://wirksam-oder-unwirksam.blogspot.com/2012/05/baldrian-zur-behandlung-von.html

Melisse, Zitronenmelisse (Melissa officinalis)

Melissenblätter werden als Tee angeboten. Für die Anwendung als Medikament gibt es Fertigpräparate mit Melissenextrakt, zum Teil mit anderen Pflanzenextrakten kombiniert. Die Zitronenmelisse hat eine milde beruhigende Wirkung, hilft beim Abschalten und wird deshalb bei Ängstlichkeit, Stress und Einschlafstörungen eingesetzt: Bei diesen Anwendungsgebieten ist ihre Wirkung gut untersucht. Eine ausreichend dosierte Kombination aus Melisse und Baldrian kann angstlösend wirken, eine zu hohe Dosierung kann aber den gegenteiligen Effekt haben und Ängstlichkeit sogar verstärken.

Traditionell wird Melisse auch eine krampflösende Wirkung zugeschrieben, sodass sie auch bei entsprechenden Verdauungsproblemen und Menstruationsschmerzen versucht werden könnte. Bewiesen ist eine ganz andere Wirkung: Das Öl der Zitronenmelisse ist äußerlich angewandt bei Herpesbläschen nützlich – es hilft, die Herpesviren einzudämmen.

Link: Melisse bei Unruhezuständen und nervös bedingten Einschlafstörungen – wirksam oder unwirksam?
http://wirksam-oder-unwirksam.blogspot.com/2013/08/melisse-bei-unruhezustanden-und-nervos.html

Link: Anxiolytische Wirkung einer Baldrian-Melisse-Kombination (Ars Medici 5/2011)
www.rosenfluh.ch/arsmedici-thema-phytotherapie-2011-05/anxiolytische-wirkung-einer-baldrian-melisse-kombination-2

Pflanzenheilkundliche Mittel für den Hormonhaushalt

In diesem Abschnitt geht es um die Probleme mit dem Zyklus und den Wechseljahren sowie um die Überfunktion der Schilddrüse. Beachten Sie ggf. auch die allgemeinen Kapitel über die Sexualhormone (Teil 6 dieses Ratgebers).

Mönchspfeffer (Vitex agnus castus) gegen PMS

Mönchspfeffer ist eine relativ gut untersuchte und häufig angewandte Heilpflanze, die Frauen bei diversen gynäkologischen Beschwerden empfohlen wird. Die wichtigsten Anwendungsgebiete sind das prämenstruelle Syndrom (PMS), teils mit Spannungsgefühlen oder Schmerzen in den Milchdrüsen der Brüste (Mastodynie oder Mastalgie). Diese Beschwerden treten vor allem in der zweiten Zyklushälfte auf. Bei solchen Problemen ist Mönchspfeffer tatsächlich wirksam, ebenso bei Östrogendominanz, wenn es auf die Wechseljahre zugeht. Zur Behandlung von Hitzewallungen eignet er sich aber nicht.

Das Mittel wird als Tabletten und als Tropfen angeboten, es kann bei Bedarf auch gut mit Johanniskraut kombiniert werden. Bei Endometriose, in der Schwangerschaft und in einigen weiteren Fällen kommt Mönchspfeffer normalerweise nicht in Frage.

Link: Mönchspfeffer zur Behandlung des Prämenstruellen Syndroms – wirksam oder unwirksam?
http://wirksam-oder-unwirksam.blogspot.com/2012/08/monchspfeffer-zur-behandlung-des.html

Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) in den Wechseljahren

Bei Frauen ist die Traubensilberkerze bei körperlichen und seelischen Beschwerden der Wechseljahre beliebt, zum Beispiel bei Hitzewallungen und Stimmungslabilität. Enthaltene Stoffe können an Östrogen-Rezeptoren andocken, wo sie modulierend und ausgleichend wirken sollen. Manche Östrogenwirkungen werden unterdrückt, andere gefördert – der Effekt auf den Hormonhaushalt ist aber nicht so genau vorhersehbar wie bei einem Hormonpräparat.

Bei Östrogen-ähnlich wirkenden Substanzen ist zumindest denkbar, dass sie eine Autoimmunerkrankung wie Hashimoto tendenziell ungünstig beeinflussen können. Wer Cimicifuga einnimmt, sollte außerdem bedenken, dass das Präparat der Leber schaden könnte. Informieren Sie sich sicherheitshalber über typische Symptome von Lebererkrankungen und lassen Sie im Zweifel die Leberwerte untersuchen. Zur jahrelangen Einnahme ist Cimicifuga nicht geeignet.

Link: Leberschäden durch Phytoöstrogen-haltiges Cimicifuga (Arzneimittel-Telegramm 2006)
www.arznei-telegramm.de/html/2006_08/0608075_03.html
Link: Traubensilberkerze – für die hormonelle Balance (PTA heute)
www.ptaheute.de/news/artikel/traubensilberkerze-fuer-die-hormonelle-balance/

Wolfstrapp (Lycopus europaeus) bei Überfunktion der Schilddrüse

Wolfstrapp ist ein leichter pflanzlicher Schilddrüsenhemmer, der die Jodaufnahme der Schilddrüse und somit die Produktion von Schilddrüsenhormonen bremst. Damit eignet sich die Pflanze versuchshalber zur Behandlung leichter Überfunktionen und der damit verbundenen Beschwerden. Die Freisetzung bereits produzierter Hormone verhindert Wolfstrapp ebenso wenig wie ein synthetisches Präparat gegen die Überfunktion.

Eine Therapie mit Wolfstrapp könnte in Frage kommen, wenn ohne Einnahme von Medikamenten eine latente Überfunktion mit hoch-normalen freien Hormonen und Beschwerden besteht, oder die freien Werte nur schwach erhöht sind. Solche Konstellationen kommen manchmal bei Mischformen aus Hashimoto und Basedow, bei einem früh entdeckten Basedow oder auch bei einer Hashitoxikose vor. Nebenbei könnte Wolfstrapp bei Brustspannen im Rahmen des prämenstruellen Syndroms helfen.

Alkoholauszüge von Wolfstrapp sind in deutschen Apotheken rezeptfrei zu haben. Wer Wolfstrapp einnimmt, sollte regelmäßig die Schilddrüsenwerte messen lassen, um die Wirkung zu überprüfen und wenn nötig, die Dosis anzupassen oder das Medikament zu wechseln. Als Nebenwirkung könnte sich die Schilddrüse vergrößern, vor allem bei Überdosierung.

Wolfstrapp wird nicht nur in der Pflanzenheilkunde, sondern auch als Zutat in homöopathischen Komplexmitteln eingesetzt. Damit dennoch die oben beschriebene Wirkung möglich ist, muss es sich um eine ausreichend dosierte, so genannte „Urtinktur“ handeln, also den eigentlichen Wolfstrapp-Extrakt – ohne eine weitere homöopathische Verdünnung und Potenzierung (siehe Kapitel Homöopathie).

Link: Wolfstrapp – Einfluss auf die Schilddrüse (PTA heute)
www.ptaheute.de/apothekenpraxis/heimische-heilpflanzen-im-kurzportrait/wolfstrapp-einfluss-auf-die-schilddruese/

Pflanzenheilkunde bei Infekten

Viele Menschen mit Hashimoto-Thyreoiditis klagen über häufige Erkältungen und grippale Infekte. Deshalb werden hier zwei wichtige pflanzliche Mittel dazu vorgestellt.

Efeu (Hedera helix) bei Bronchitis

Wer sich eine akute Bronchitis zugezogen hat, kann Präparate mit Efeu verwenden: Efeublätter-Extrakt ist wissenschaftlich vergleichsweise gut untersucht. Er lindert tatsächlich den Husten und hilft, Schleim zu lösen. In der Apotheke bekommen Sie Efeu in verschiedenen Formen – als Sirup, als Dragee sowie mit und ohne weitere Zusätze wie Thymian.

Bei Bronchitis und Nebenhöhlenentzündungen können Sie außerdem Gelkapseln mit Eukalyptusöl ausprobieren, auch diese sollen die Schleimlösung unterstützen. Unabhängig von den gewählten pflanzlichen Präparaten oder sonstigen Medikamenten ist es wichtig, genug Flüssigkeit zu trinken: Sonst könnten die Schleimhäute schneller austrocknen.

Fachartikel: Bronchitis: Molekulares Wirkprinzip von Efeu entschlüsselt (Ärzteblatt 2004; 101(14): A-951)
www.aerzteblatt.de/archiv/41246/Bronchitis-Molekulares-Wirkprinzip-von-Efeu-entschluesselt

Sonnenhut (Echinacea) gegen Infekte?

Zier- und Heilpflanze Echinacea (Bild: Irene Gronegger)

Der Sonnenhut gehört zu den bekanntesten Mitteln der Pflanzenheilkunde. Ihm wird nachgesagt, dass er das Immunsystem moduliert. Sonnenhut wird vor allem bei häufigen Infekten der Atemwege und der Blase eingesetzt. Die Wirkung des Sonnenhuts ist allerdings nicht wissenschaftlich belegt.

Es gibt ein weiteres Problem: Falls der Sonnenhut tatsächlich die Reaktionen des Immunsystems stimuliert, werden auch unerwünschte Reaktionen verstärkt. Das betrifft Menschen mit Autoimmunerkrankungen oder diversen Allergien. Deshalb ist Echinacea bei Hashimoto nicht allgemein empfehlenswert, dasselbe gilt für die Indigo-Pflanze.

Doch es gibt unbedenkliche Alternativen zu Echinacea: Vorbeugend könnte es sich lohnen, auf eine gute Versorgung mit Vitamin D und dem Spurenelement Zink zu achten (Links zu den Kapiteln 11.4. und 10.4.).

Nächstes Kapitel: Mit Hashimoto-Thyreoiditis zum Heilpraktiker?

Übernächstes Kapitel: Amalgamsanierung und Entgiftung wegen Hashimoto?