Sekundäre Pflanzenstoffe gehören zwar nicht zu den Vitaminen, aber sie sind ebenfalls als Antioxidantien beliebt – gegen freie Radikale und oxidativen Stress. Sie sind in Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Getreide, Nüssen und Saaten enthalten. Viele Menschen versprechen sich davon gesundheitliche Vorteile bei einer Krankheit, oder einfach eine Möglichkeit zur allgemeinen Vorbeugung. Manche sekundäre Pflanzenstoffe sind besonders bekannt, zum Beispiel das Resveratrol aus roten (oder eher blauen) Weintrauben, das auch im Rotwein vorkommt.

Andererseits ist der Ruf mancher Antioxidantien mittlerweile ziemlich angeschlagen. Wie passt das alles zusammen?

Was sind sekundäre Pflanzenstoffe?

Fangen wir in der Natur an: Pflanzen schützen sich durch eine unüberschaubare Zahl von Stoffen, deren Wirkung auf uns Menschen nur ansatzweise bekannt ist – sie nennt man sekundäre Pflanzenstoffe. Sie festigen die Pflanzen, schützen sie vor Austrocknung und sorgen für Abwehr von Pilzen und Bakterien. Und schließlich verleihen sie den Pflanzen (besonders ihren Blüten und Früchten) viele Farben, die Insekten zur Bestäubung der Blüten anlocken sollen, und Vögel zur Verbreitung der Samen. Manche Farben sollen dagegen Fressfeinde abschrecken. Eine wichtige und besonders interessante Gruppe dieser sekundären Pflanzenstoffe sind die Polyphenole, besonders die Flavonoide (dazu unten mehr).

Klar ist, dass für Menschen eine Ernährung mit hohen pflanzlichen und vollwertigen Anteilen (es muss nicht zwingend vegan sein) viele günstige Effekte hat. Mit der Nahrung nehmen wir pro Tag einige Gramm an sekundären Pflanzenstoffen auf, Veganer meist mehr als Mischköstler, denn in tierischen Produkten sind diese Stoffe gar nicht enthalten. Gemüse enthält durchschnittlich mehr sekundäre Pflanzenstoffe als Obst, allerdings enthalten blaue und lila Früchte auch recht viele Polyphenole.

Die Bioverfügbarkeit der sekundären Pflanzenstoffe ist sehr unterschiedlich. Sie werden in verschiedenen Abschnitten unseres Verdauungstrakts aufbereitet und dann teilweise aufgenommen. Hinzu kommt, dass sich ihre Wirkungen ergänzen und verstärken können – in diesen Fällen würden sie als isolierte Nahrungsergänzungsmittel weniger bringen als in ihrer natürlichen Kombination. Nur ein Bruchteil dieser Stoffe ist näher erforscht, aber einiges ist doch bekannt und kann schon heute bewusst eingesetzt werden.

Mit guten Antioxidantien gegen böse freie Radikale?

Neben einigen Vitaminen wurden auch manche Polyphenole als Antioxidantien und Radikalenfänger gepriesen. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass ihre Vorteile auf einem indirekten, ja nahezu gegenteiligen Effekt beruhen: Konsumieren wir Nahrungsmittel mit Polyphenolen (siehe unten) oder treiben in gesundem Ausmaß Sport, produzieren die Mitochondrien mehr freie Radikale als davor. Darauf reagieren unsere Zellen wiederum, indem sie ihre eigene Radikalen-Abwehr einschalten: Zellen produzieren verstärkt solche Enzyme, die unsere Muskelmasse erhalten, Entzündungen bekämpfen oder die DNA prüfen – daraufhin wird beschädigte DNA teils sogar repariert. Daher ist es wahrscheinlich nicht sinnvoll, direkt nach dem Sport antioxidative Vitamine einzunehmen (z.B. hoch dosiertes Vitamin C).

Rote Weintrauben enthalten viele Polyphenole

Bild: Rote Weintrauben enthalten viele Polyphenole

Das heißt: Polyphenole sind eigentlich Oxidantien! Sie stoßen dadurch Reparaturvorgänge in den Zellen an, die länger anhalten als der oxidative Stress, der sie zuvor ausgelöst hat. Das erklärt nebenbei auch, warum es nicht sinnvoll ist, oxidativen Stress und freie Radikale umfassend mit Antioxidantien auszubremsen, und warum eine ständige Einnahme von Vitamin E oder von Betacarotin in manchen Lebenslagen sogar gesundheitlich nachteilig sein kann.

Flavonoide sind eine Untergruppe der Polyphenole. Sie sind in den Farbstoffen der Pflanzen enthalten, vor allem in den Farben blau und lila (Blaukraut, Auberginen, Radicchio, dunkle Trauben, blaue Beeren, Pflaumen und Zwetschgen), etwas weniger in roten Beeren und Kirschen. Bei einigen Früchten konzentrieren sich Flavonoide vor allem auf die Randschichten, zum Beispiel bei Äpfeln, Trauben, Tomaten oder Auberginen – das lässt sich teils gut an der Farbverteilung der Früchte erkennen. Aber auch grüne Gemüse, Zitrusfrüchte, Zwiebeln und Kakaopulver liefern diverse Flavonoide.

Eine gute Versorgung mit antioxidativ wirkenden Vitaminen (siehe Teil 11) hat sich aber mit dieser neuen Sicht auf sekundäre Pflanzenstoffe nicht erledigt. Wer zum Beispiel kaum Rohkost oder frisch gekochtes Gemüse isst, könnte zum Beispiel etwas Vitamin C einnehmen. (Vitamin E hat aber in diesem Ratgeber gar kein eigenes Kapitel bekommen, weil die Lage recht komplex bis unklar ist.)

Auch zum Thema passend: Ernährung: Antientzündliche Diäten bei Hashimoto? (Link zum Kapitel 8.6. dieses Ratgebers)

Polyphenole und Flavonoide – Spezialfall grüner Tee

Warum gilt eigentlich grüner Tee als besonders gesund? Er enthält in hohen Anteilen ein Polyphenol und Flavonoid namens EGCG, das ist die Abkürzung für Epigallocatechingallat. Das EGCG ist zwar auch im schwarzen Tee enthalten, aber in viel geringeren Mengen. Damit wir dieses Polyphenol gut nutzen können, sollte der grüne Tee mit weichem (also kalkarmem) Wasser aufgegossen werden, denn Magnesium und Kalzium verschlechtern nicht nur den Geschmack des Tees, sondern auch die Wirkung des EGCG. Der Tee sollte ohne Milch und möglichst nüchtern genossen werden, Vitamin C verbessert aber die Bioverfügbarkeit. Grüner Tee wird teils vakuumverpackt angeboten, weil Luft und Licht die Qualität und die Wirkung mit der Zeit verschlechtern.

So kann EGCG seine Vorteile entfalten – es wirkt zum Beispiel leicht entzündungshemmend und trägt dazu bei, den Cholesterinspiegel etwas zu senken. Wird der grüne Tee kurz nach dem Essen getrunken, entfallen zwar manche dieser Vorteile, aber er bremst den Blutzuckeranstieg – zumindest im Tierversuch. Außerdem hat grüner Tee möglicherweise Potenzial in der Krebsvorbeugung, daran wird intensiv geforscht.

Dass grüner Tee leicht belebend wirkt, liegt daran, dass er auch Koffein enthält. Grüntee putscht aber viel weniger auf als Kaffee, weil sein Koffein an Gerbstoffe gebunden ist. Das gilt besonders, wenn man den Tee etwas länger ziehen lässt oder den zweiten Aufguss verwendet, was bei grünem Tee sowieso auch üblich ist. Man kann bis zu anderthalb Liter grünen Tee pro Tag unbedenklich trinken – also viel größere Mengen als von Rotwein. Und auch mehr trinken als vom Traubensaft, der von Natur aus viel Frucht- und Traubenzucker enthält.

Grüntee-Extrakte mit EGCG gibt es auch als Nahrungsergänzungsmittel. Sie können die Wirkungen des Tees nicht vollständig nachbilden, aber leichter überdosiert werden – daher gießt man sich besser einen frischen Tee auf.

Resveratrol und OPC als Nahrungsergänzungsmittel?

Zu den Polyphenolen und Flavonoiden aus der roten Weintraube zählen die OPCs (Oligomere Proantho­cyanidine). OPC-Präparate werden vor allem aus den Traubenkernen hergestellt. Außerdem sind OPCs in Traubenschalen, Heidelbeeren und Cranberrys enthalten – und in den rotbraunen Häutchen frischer Erdnüsse. Teils werden OPCs auch als Kombipräparate mit antioxidativen Vitaminen wie A, C und E angeboten.

Resveratrol ist in Verbindung mit Rotwein bekannt geworden, tatsächlich kommt es vor allem in der Haut der dunklen Weintrauben in geringen Mengen vor. Es zählt auch zu den Polyphenolen (hier aber nicht zu den bekannten Flavonoiden, sondern zu den Stilbenen). Resveratrol ist als Nahrungsergänzungsmittel unkomplizierter als Grüntee-Kapseln. Doch was den gesundheitlichen Nutzen angeht, besteht noch das praktische Problem, dass seine Bioverfügbarkeit sehr gering ist: Den Herstellern ist es noch nicht gelungen, ein gut aufbereitetes Resveratrol-Präparat auf den Markt zu bringen, das tatsächlich eine nachweisliche Wirkung hat. Hier könnte die Kombination mit weiteren Stoffen hilfreich sein (das betrifft weitere Polyphenole, aber auch den Stoff Spermidin, siehe unten).

Trotz dieser Schwächen sind Resveratrol-Präparate auf dem Markt für Antioxidantien recht populär. Die meisten Produkte enthalten Pflanzenextrakte aus roten Weintrauben oder aus dem Japanischen Staudenknöterich, der ebenfalls Resveratrol liefern kann. Inzwischen lässt sich dieses Polyphenol aber auch mit Hilfe gentechnisch veränderter Hefen herstellen. Da dieses Verfahren auf Fermentation beruht, könnten diese Präparate allerdings Histamin enthalten, was Menschen mit entsprechender Unverträglichkeit nicht gut vertragen.

Bei Histamin- oder Glutenunverträglichkeit sollte man übrigens auch mit Spermidin-Präparaten vorsichtig sein: Größere Mengen wirken als Histaminliberator, da Spermidin zu den biogenen Aminen gehört. Und die Präparate sind meist aus Weizenkeimen hergestellt, also nicht glutenfrei.

Weitere Gruppen an sekundären Pflanzenstoffen

Neben den Polyphenolen zählen auch weitere Gruppen zu den sekundären Pflanzenstoffen:

  • Phenolsäuren: in Kaffee, Tee, Nüssen, Vollkorngetreide, Weißwein
  • Glucosinolate (Senfölglycoside): in Kohl, Rettichen, Senf, Kresse
  • Phytosterole: v.a. in Nüssen und Hülsenfrüchten
  • Phytoöstrogene: v.a. in Hülsenfrüchten und Leinsamen, weiteren Saaten und Nüssen, in Getreidekleien
  • Curcuminoide: Curcumin aus Kurkuma-Gewürz, Zingiberone aus Ingwer
  • Carotinoide: färben Obst und Gemüse gelb, orange oder hellrot, z.B. Karotten, Kürbis, Süßkartoffeln, Paprika, Tomaten, Aprikosen – siehe auch voriges Kapitel Vitamin A und Betacarotin

  • Das weiter oben erwähnte Spermidin ist kein sekundärer Pflanzenstoff, sondern ein biogenes Amin. Enthalten ist es unter anderem in Weizenkeimen, Pilzen, reifem Käse, Soja und anderen Hülsenfrüchten. Beim Kochen geht ein Teil verloren.

    Buch zum Weiterlesen

    Nina Ruge und Dominik Duscher: Verjüngung ist möglich. Wissenschaftlich erforscht – was wirklich hilft (E-Book für Kindle und PC / Werbelink / Amazon setzt ein Cookie). Das E-Book für andere Reader wie Tolino finden Sie in anderen Shops.

    Die Paperback-Ausgabe ist in jeder Buchhandlung bestellbar. Die ISBN: 3833879564

    Die Autorin Nina Ruge war vor ihrer Fernsehkarriere Biologielehrerin am Gymnasium. Neuerdings greift sie wieder auf die fachlichen Grundlagen aus ihrem Studium zurück, indem sie sich mit Gesundheit und Logevity (Langlebigkeit) befasst.