Eine Mission Schilddrüse für die Leber?
Bild: Facebook-Screenshot mit zwei Anzeigen der „Mission Schilddrüse“ (groß und klein)
Auf Facebook bekomme ich derzeit ständig eine bestimmte Werbung mit wechselnden bunten Bildchen angezeigt: Mission Schilddrüse heißt eine Anzeigenkampagne rund um Hashimoto, die aber die Leber in den Mittelpunkt stellt – hier muss man angeblich ansetzen.
Was steckt dahinter?
Der erste Eindruck von der Anzeige: Eine „Mona“ listet kurz ihre Probleme rund um Hashimoto und erwähnt eine Methode, mit der sie ihre Symptome angeblich hinter sich gelassen hat. Um zu erfahren, um was es geht, soll man auf einen Link zu einem Artikel klicken. Dort folgt ein sehr langer, persönlich gehaltener Text, der die Leserin in Monas Geschichte hineinzieht. Der Text schildert subjektive Erfahrungen und stellt allerlei pauschale Behauptungen auf, die scheinbar mit Studien belegt sind. Monas angebliche Erfolge wecken vermutlich bei mancher Leserin viel Hoffnung.
Am Ende soll man ein Nahrungsergänzungsmittel kaufen, das gegen die im Text erwähnten Probleme helfen soll. Das heißt, der auf Facebook verlinkte „Artikel“ oder persönliche Bericht ist eigentlich eine Salespage, eine Verkaufsseite. Im Verkaufstext werden verschiedene Themen durcheinander geworfen und einige Mythen verbreitet. Sehen wir uns das Ganze näher an:
Link zur Salespage der Mission Hashimoto: https://missionschilddruese.com/hashimoto-hs-lang-v1/
Inhalte dieses Kapitels
Irrtümer rund um Selen und oxidativen Stress
Der Text stammt von einer angeblichen Redakteurin „Mona Hildebrandt“. Darin ist der oxidative Stress erwähnt, der tatsächlich in der Schilddrüse verstärkt werden kann, wenn unnötig viel Jod und/oder zu wenig Selen zugeführt wird: Bei Hashimoto ist nämlich sinnvoll, mit Jod zurückhaltend zu sein und den oft vorhandenen Selenmangel auszugleichen (siehe Selen für die Hashimoto-Schilddrüse).
Ob ein mäßiger Selenmangel die Umwandlung von T4 in T3 wirklich hemmt, ist allerdings sehr fraglich, denn der Körper spart bei knapper Versorgung zuerst an weniger wichtigen Stellen. Der Produktname („Der Umwandler“) der Mission Schilddrüse klingt also zumindest ambitioniert. Das ausdrückliche Versprechen zum Produkt („Unterstützt die Umwandlung von T4 zu T3“) ist nach den von der EU festgelegten „Health Claims“ möglicherweise nicht erlaubt, siehe allgemeine Infos der Verbraucherzentrale über Selen. Aber das Impressum der Mission Schilddrüse ist nicht in der EU, sondern in Singapur …)
Auch der oxidative Stress in den Zellen wird heute differenzierter gesehen als es die Alternativmedizin traditionell seit einigen Jahrzehnten tut – siehe mein Kapitel über Antioxidantien und sekundäre Pflanzenstoffe: Polyphenole.
Entgiften und Leber unterstützen?
Kommen wir zur Leber: Das Organ spielt unter anderem eine Rolle in der Umwandlung der Schilddrüsenhormone (T4 in T3) sowie bei der Entgiftung. Doch viele künstliche Gifte, die auf Belastungen mit chemischen Schadstoffen zurückgehen, kann unsere Leber gar nicht entgiften! Säugetiere und deren Leber gibt es seit rund 50 Millionen Jahren, allerlei Chemikalien erst seit gut 100 Jahren. Der Körper konnte sich leider nicht in so kurzer Zeit anpassen, die ungewohnten Gifte wieder loszuwerden, da helfen auch keine gesunden Kräuter. Lesen Sie mehr dazu im Kapitel über Entgiftung und Entschlackung bei Hashimoto.
Was die Unterstützung der Leber angeht, trifft die „Mission Schilddrüse“ nebenbei einen wahren Kern: Ein erheblicher Teil der Leute ist zu dick, in Deutschland hat schätzungsweise ein Fünftel der Erwachsenen eine (meist nicht alkoholisch bedingte) Fettleber. Hier können Extrakte aus Mariendistel tatsächlich ein wenig helfen, sofern sie ausreichend dosiert sind (siehe voriger Link zur Entgiftung). Es gibt aber Methoden, die mehr bringen: Fasten, anschließend Intervallfasten (Kapitel 8.2.), Zucker und Alkohol weglassen, weniger Kalorien aufnehmen, sich mehr bewegen.
Das heißt: Starkes Übergewicht kann der Leber schaden. Abnehmen ist trotzdem möglich, sobald ein Kaloriendefizit hergestellt ist. Allerdings ist das schwerer zu erreichen, wenn man eine noch nicht oder nicht ausreichend behandelte Schilddrüsenunterfunktion hat, oder eine deutliche Tendenz dazu. Der Text der Mission Schilddrüse behauptet aber teils pauschal, dass L-Thyroxin nicht hilft.
Wie jetzt – L-Thyroxin bringt gar nichts?
Als Beleg für diese Behauptung soll ein Screenshot eines Medienberichts über eine Studie dienen: Doch bei dieser Untersuchung ging es allgemein um alte Menschen mit erhöhtem TSH – nicht speziell um Hashimoto-Betroffene (oft jüngeren oder mittleren Alters)! Dass alte Menschen weniger Energie haben als jüngere, ist übrigens in einem gewissen Rahmen normal, darum hilft auch L-Thyroxin nicht unbedingt. (Diesen Schwund an Energie können wir durch eine gesunde Lebensweise und sinnvoll gewählte Anti-Aging-Maßnahmen verzögern, aber nicht komplett aufhalten.)
Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen – Hashimoto-Betroffene mit alten Menschen, die nur einen erhöhten TSH-Wert haben. Die pauschale Behauptung zum unwirksamen Thyroxin ist sogar frech mit einer Tablettenschachtel „L-Thyroxin Henning plus“ der Firma Sanofi bebildert, ein gängiges Präparat gegen einen Jodmangelkropf. (Das Präparat „Der Umwandler“ ist zwar angeblich in Berlin entwickelt und es gibt auch eine deutsche Seite dazu, aber in Singapur nimmt man es mit Urheber- und Markenrechten womöglich nicht so genau wie innerhalb der EU oder der Schweiz.)
Hinter den Behauptungen, dass L-Thyroxin unwirksam sei, bis man ein dafür angeblich erforderliches Präparat (mit Selen und mit Stoffen für die Leber) nimmt und damit die Umwandlung aktiviert, steckt womöglich auch ein Missverständnis: Man dachte früher, T4 sei nur als Speicher relevant, als Reservoir für eine Umwandlung in das aktivere Schilddrüsenhormon T3. Aber auch T4 selbst hat Funktionen im Stoffwechsel, wie man heute weiß – es ist nicht wirklich inaktiv. Dadurch kann L-Thyroxin auch bei einer nicht perfekten Umwandlung einiges bringen.
Das eigentliche Problem mit L-Thyroxin
Meine Erfahrung sagt mir aber: Viele Hashimoto-Betroffene nehmen L-Thyroxin in einer Dosierung, die nur Pi mal Daumen festgelegt wurde. Hinzu kommt, dass manche Arztpraxen nur den TSH-Wert kontrollieren. Das funktioniert nur bei einem Teil der Behandelten gut, die Glück haben oder nicht so empfindlich sind. Bei anderen gelingt es auf diese Weise nicht, gutes Befinden zu erreichen bzw. wieder herzustellen. Doch viele lassen sich damit abspeisen, dass die Schilddrüse angeblich „gut eingestellt“ ist. Das gilt besonders, wenn eine Facharztpraxis am Werk war, die man erst mal nicht in Frage stellt.
Daher kommen viele Unzufriedene gar nicht auf die Idee, beim Arzt nachzufragen, was er unter „gut eingestellt“ eigentlich versteht. Und die Wenigsten wollen sich selbst einarbeiten, oder sie trauen sich nicht an die Laborwerte heran (Kap. 2.1.). Dabei wäre der erste Schritt wirklich einfach – sich die Laborwerte ausdrucken lassen und zu aktuellen Werten die Symptome und das Befinden notieren.
Viele halten das für unnötig und glauben womöglich, die ärztlich gewählte Dosis sei nach hoch akademischen Formeln berechnet – doch das stimmt nicht. Manche Patientin lässt sich in alternativen Kreisen die Geschichte erzählen, dass die „Schulmedizin“ nicht richtig hilft. Und so verzetteln sich viele, die angeblich „gut eingestellt“ sind, aber sich damit noch nicht gut fühlen, auf Nebenschauplätzen: Listen mit verbotenen Lebensmitteln, angebliche Heildiäten, so genanntes Entgiften oder teure Präparate zur Nahrungsergänzung (eher an Modetrends und Online-Werbung als an individuell vorhandenen Mängeln orientiert).
Wer sich auf dem alternativen Heilungsmarkt auf Einkaufstour begibt, kann natürlich auch mal einen Glückstreffer mitnehmen – es ist nicht alles sinnlos, und manchmal passt der Inhalt eines Produkts zufällig zum persönlichen Mangel an bestimmten Stoffen. Hinzu kommt, dass der Glaube auch Berge versetzen kann. Aber ein Ersatz für eine gut passende Hormondosis sind Nahrungsergänzungsmittel nicht. Das gilt auch für Präparate, deren Zusammensetzung laut Werbetext auf Hashimoto abgestimmt ist.
Weitere Baustellen der Mission Schilddrüse
Wer bei sich starke Wassereinlagerungen beobachtet wie „Mona“, sollte übrigens nicht versuchen, diese mit selbst gekauften Präparaten zu bekämpfen. Die Ursachen können nämlich sehr verschieden sein: Recht häufig sind eine deutliche Unterfunktion, manchmal auch eine Überdosierung von L-Thyroxin (das würde sogar zur Geschichte von „Mona“ passen, die zeitweise mit L-Thyroxin überdosiert war) sowie eine Herzschwäche. Doch wenn die angebliche Lösung nicht zum Problem passt, hilft sie auch nicht. Hier sollte zuerst ärztlich geklärt werden, was dahinter steckt, oder zumindest gravierende Ursachen wie Herzprobleme ausgeschlossen werden.
Im beworbenen Präparat der Mission Schilddrüse sind auch etliche Aminosäuren enthalten. Sie gehören ähnlich wie Selen zu den Stoffen, die durchaus sinnvoll sein können – wenn man damit tatsächlich eher knapp versorgt ist. Wer sich für dieses Thema interessiert, kann einen fundierten Blick auf die eigene Ernährung werfen, sich mit dem Tagesbedarf an bestimmten Aminosäuren befassen, oder bestimmte Aminosäuren direkt im Blut messen lassen. Wichtig ist auch, ob die in einem Präparat enthaltenen Aminosäuren sinnvoll dosiert sind. Man kann Aminosäuren auch einzeln kaufen – als Kapseln oder noch günstiger als Pulver – und individuell zusammenstellen. Das könnte mehr bringen als ein fertiges Produkt und sogar Geld sparen.
Wer Probleme mit Histamin hat, die bei Frauen ab 40 nicht selten sind, sollte sich außerdem informieren, welche Aminosäuren in Frage kommen und welche besser vermieden werden: Die im „Umwandler“ enthaltenen Stoffe NAC und L-Arginin kommen bei einer Histamin-Unverträglichkeit eher nicht in Frage, weil sie per Fermentation hergestellt sind. Das ist zwar ein natürliches Verfahren, wird aber trotzdem nicht von allen vertragen.
A propos Aminosäure-Präparate bei Hashimoto…
Während ich diesen Blogartikel schreibe und zu den Aminosäuren komme, muss ich an eine Salespage denken, die mir eine Leserin meines Newsletters letztes Jahr schickte: Die Verkaufsseite von damals war ähnlich aufgebaut wie die oben vorgestellte Seite der Mission Schilddrüse. Sie präsentierte ebenfalls eine subjektive Geschichte einer angeblichen Redakteurin, welche in einem Kasten ganz unten auf der Seite mit Bild und Namen vorgestellt wurde, aber sonst nirgends im Netz auffindbar war.
Diese Seite warb für ein Produkt mit Aminosäuren, das angeblich auch auf Hashimoto abgestimmt war. Sogar der Button „Verfügbarkeit prüfen“ sah ganz genauso aus wie bei der Mission Schilddrüse. Das Impressum war ebenfalls in Singapur angesiedelt – ich suche es nochmal raus …
Überraschung: Sie hat dort exakt dieselbe Adresse wie die Mission Schilddrüse.
Außerdem findet man unter dieser Adresse weitere Marketing-Seiten, darunter ein „Apothekenblatt“, das vermutlich auch für Facebook-Kampagnen erstellt wurde.
Link zur Salespage Aminosäuren bei Hashimoto mit einer „Hannah Fabeck“: https://dein-gesundheitsforum.de/hashimoto-durchbruch-kurz/ (Link zum Impressum ganz unten)
Hier eine weitere Verkaufsseite für dieselben Aminosäuren, diesmal mit einer „Tanja Fellenberg“ und unter dem Namen „The Healing Magazine„: https://thehealingmagazine.de/schilddruese-hs-lang-v3/
Es gibt noch zwei weitere derartige Seiten für dieselben Aminosäuren mit „Tanja Fellenberg“, aber mit einem Impressum in den USA:
https://med-gesund.de/schilddruese-hs-lang-v2/ und
https://med-gesund.de/schilddruese-hs-lang-v3/
Ein lustiges Detail: Aminosäuren-Tanja steht mit denselben dicken Beinen und rot lackierten Nägeln vor derselben Waage wie „Mona“ von der Mission Schilddrüse. Das sieht auch ohne großes Misstrauen ganz danach aus, dass diese Geschichten über Hashimoto-Betroffene frei erfunden sind.
Unabhängig davon, ob die auf Facebook und bei der „Mission Schilddrüse“ erwähnte „Mona Hildebrandt“ vielleicht doch existiert und ob sie Hashimoto hat oder nicht: Glauben Sie nicht jede schöne oder dramatisch-spannende Geschichte, die auf einer Verkaufsseite erzählt wird, Hoffnungen auf eine bequeme Lösung weckt und darauf hinausläuft, dass Sie die angebliche Lösung kaufen sollen.
Verfasserin dieses Blogartikels: Irene Gronegger, freie Journalistin im Bereich Gesundheit und Verbraucherthemen
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Eher zufällig auf Ihren Artikel gestoßen und dennoch sehr dankbar, denn beinahe hätte ich mir diesen „Umwandler“ mal zum Ausprobieren bestellt, dann war ich aber doch misstrauisch und habe es zum Glück gelassen -und hoffe, es lesen viele Hashi-Betroffenen Ihren Artikel. 😊
Vielen Dank für Ihren Artikel!
Ich hätte dieses „angebliche Wundermittel“
auch fast schon mal gekauft!
Gut dass sich mal jemand die Mühe macht diese Werbemasche zu demaskieren. Eigentlich kann man nichts und niemanden mehr trauen, das ist ein niederschmetterdes Ergebnis.
Danke für die Kommentare. Was sich im Internet oft lohnt, ist ein einfacher Blick ins Impressum: Wer schreibt hier? Gehört die Website zu einer Arztpraxis, einer Einzelperson, zu einem Unternehmen …?
Ist das Impressum normal getippt oder als Grafik eingefügt, damit man die Adresse nicht als Text kopieren und dann googeln kann (und rausfinden, wie viele Seiten die Person betreibt)? Wo ist der Firmensitz, welches Recht gilt?